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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Siegburg, Oktober 1390
    D ie Schreie der Schwangeren zerrissen in regelmäßigen Abständen die Stille des Oktobermorgens. Das Städtchen erwachte. Friedlich lag es im Schönwetterdunst des Sonnenaufgangs; dünne Rauchschwaden der ersten Herdfeuer züngelten aus den Kaminen. Droben vom Kloster her erklangen leise wie Mückengesumm die Stimmen der Mönche.
    In den Gassen war es noch ruhig, bis auf ein paar gackernde Hühner, träge sich reckende Hunde und die ersten Schweine, die in den Abfallhaufen nach Leckerbissen wühlten. Levi Lämmlein, der reiche Geldverleiher von Siegburg, ging mit unruhigen Schritten in der Stube auf und ab. Die halbe Nacht hatte er so verbracht, während seine Frau in endlosen Wehen lag. Zwei Nachbarinnen waren schon seit Stunden bei ihr und hatten ihn jedes Mal, wenn er zaghaft an der Schlafzimmertür klopfte, mit verkniffenen Mienen wieder weggescheucht. Levi wusste, es war schwer für seine Schönla, die eigentlich längst aus dem Alter für das erste Kind heraus war. Beide hatten sie die Hoffnung auf Nachwuchs fast aufgegeben, als ihre Gebete doch noch an die Ohren des Herrn gedrungen waren. Bald, so hoffte und freute sich Levi, würde ihr Glück auf dieser Welt vollkommen sein. Er trat ans Fenster, öffnete es und sah hinaus. Es würde ein schöner Tag werden. Die Sonne stieg höher und höher, und ihre Wärme ließ langsam die weißen Morgennebel zerfließen, die über dem Fluss lagen. Levi tat einen tiefen Atemzug, um gleich darauf zusammenzuzucken, als der nächste Schmerzensschrei seiner Frau ertönte. Er schwor sich, dass es diesem Kind in seinem Leben niemals an etwas fehlen sollte, sofern es nur endlich auf die Welt kam. Und er beschloss, dass es wohl gut sei, darüber Zwiesprache mit Gott zu halten.
    Gerade als Levi den fransenbesetzten Gebetsmantel für die Morgenandacht umlegen wollte, klopfte es. Mordechai, der betagte Hausdiener, der bisher in der Küche gesessen und fromme Sprüche geleiert hatte, schlurfte kopfschüttelnd zur Tür. »Jetzt ist nicht die Stunde«, schimpfte er mit hoher Greisenstimme durch das Fensterchen hinaus, »die Hausfrau kommt nieder.«
    »Ein Schreiben vom Rat«, erklang es zurück. Es war die Stimme des Stadtboten, der nun eine Schriftrolle durch die kleine Öffnung schob. »Da, nimm, Alter.«
    Mordechai tippelte in die Stube zurück und reichte seinem Herrn mit einer entschuldigenden Geste den Brief.
    »Schon gut«, murmelte Levi. Die städtische Obrigkeit konnte schließlich nicht wissen, dass er gerade Nachwuchs bekam. Vermutlich fragten sie wieder einmal nach einem Darlehen an, dabei hatten sie die letzten beiden noch nicht zurückgezahlt. Levi legte die Rolle erst ein wenig unentschlossen auf seinen Arbeitstisch, doch dann erbrach er, eigentlich ganz froh um die Ablenkung, das Siegel. Sorgsam rollte er das Pergament auf und begann mit gerunzelter Stirn zu lesen.
    »Unsern Gruß zuvor dem Stadtjuden Löw Lämmlein, Kammer Knecht des güthigen und gerechthen Königs Wentzel, dem der allmechtige Gott möge noch vil Jahre und ein glückliche Regirung geben. Item so hat nun unßer König gerechther Maßen entschiden, zur Mehrung unßer aller Glück und Wohlstands die Schulden sämtlicher derjeniger, die bei der Judenheit im Reich Geldt entliehen haben, für nichtig zu erklärn. An die Juden ist nichts zurück zu zahlen, auch nit der Zinß. Ermelte Schulden fallen statt deßen an die Landesherrschafft, die davon ein Theill an die königliche Schatull zu zahlen hat. Dafür erbiethet unßer König seinen hoch geschetzten und gelibten Juden im Reich weitherhin sein Schutz und Schirm wie es seit alters her guther Brauch ist ...«
    Levi Lämmlein verschwammen die Buchstaben vor den Augen. Ein neuer Judenschuldenerlass! Wie konnte das sein, nachdem Wenzel, der geldgierige Mensch, erst vor fünf Jahren genau dasselbe verfügt hatte? Schon damals hatten die Städte, die Obrigkeiten und der König selbst alles an sich gerissen, was die Juden in harter Arbeit erworben hatten. Niemand konnte damit rechnen, dass dies so schnell wieder geschehen würde, und so hatte Levi nicht vorgesorgt. In wilder, ohnmächtiger Wut ballte er die Fäuste. Natürlich, den Juden konnte man ja ungestraft alles nehmen! Es bedurfte nur eines Federstrichs! Seit jeher nämlich waren er und seinesgleichen als Kammerknechte direkte Untertanen der Krone, standen somit unter deren Schutz, aber auch unter deren Knute. Ihnen war nicht erlaubt, Waffen zu tragen, denn der König verteidigte

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