07 - komplett
anzunehmen.
Dann aber säße sie jetzt auch nicht neben ihm ...
„Wir müssen uns einen Unterschlupf suchen“, sagte er und ließ das Pferd langsamer gehen.
Mary schaute über ihre Schulter zurück. Hagelkörner stachen wie Nadeln auf ihre Wangen. „Es kommt mir vor, als hätten wir das letzte Dorf vor mehreren Stunden hinter uns gelassen.“
„Es ist tatsächlich mehrere Stunden her.“
War es das? Irgendwie war ihr die Zeit bei ihrem Gespräch über Bücher, Klatsch und Orte, an die sie reisen wollten, wenn sie es könnten, wie im Nu vergangen. „Befinden wir uns in der Nähe eines Gasthofes?“
„Nein, das nächste Gasthaus ist noch meilenweit entfernt.“
Bald darauf kamen sie an einem Heuschober vorbei, der hinter einer niedrigen Steinmauer an einem weiß mit Raureif überzogenem Acker stand. Aus der Nähe sah die Scheune recht klapprig aus, der Wind pfiff durch die Löcher in den rauen Holzplankenwänden, und durch das verwitterte Dach tropfte der Regen. Mary indes kam sie vor wie ein Palast.
Dominick legte für sie die Wagendecke über einen dicken Stapel Heuballen, danach kümmerte er sich um das Pferd. Mary zog den feuchten Mantel und die durchnässten Stiefeletten aus und holte ein sauberes Paar Strümpfe aus ihrer Reisetasche. Während sie sich aufzuwärmen versuchte, beobachtete sie unauffällig, wie Dominick das verängstigte Pferd beruhigte. Sanft strich er ihm über das samtige Maul und redete mit leiser, tiefer Stimme auf das Tier ein.
Seine Freundlichkeit, die ruhige, entschlossene Art, mit der er die Situation beherrschte und die Angst vertrieb, ließen ihr Tränen in die Augen treten. Ohne ihn würde sie vermutlich kopflos und außer sich vor Angst im Sturm herumirren.
Stattdessen aber fühlte sie sich sicher und geborgen. Außerdem war sie zuversichtlich, dass letztendlich alles gut ausgehen würde, wenngleich die Chancen dafür recht gering standen.
Wie merkwürdig, dass der Mann, der ihr den hart errungenen Seelenfrieden geraubt hatte, der ihr den Kopf vor Verwirrung schwirren ließ, ihr zugleich auch ein solch großes Wohlgefühl vermitteln konnte.
Schließlich wandte er sich von dem nun wieder ruhigen Pferd ab und zog den Mantel aus. Rasch senkte Mary den Blick und verbarg ihre verräterisch geröteten Wangen, indem sie eine Haarbürste aus ihrer Reisetasche holte. Sie war sich sicher, dass ihr Haar ein wirres, feuchtes Chaos war und dass die Locken, die sie stets mühsam zu glätten versuchte, nunmehr einem zerwühlten Vogelnest glichen.
„Hast du Hunger?“, fragte Dominick, während er sich zu ihr auf den Heuballen setzte.
In der Hand hielt er den Korb aus der Kutsche. „Wir haben immer noch die Speisen, die uns die Wirtin heute in der Früh mitgegeben hat. Fleischpastete, eingelegtes Gemüse, Käse und – oh ja – eine Flasche Wein.“
Wein – den sollte sie definitiv nicht mit ihm trinken. Der Himmel wusste, was sie unter alkoholischem Einfluss äußern würde. „Ich bin noch nicht hungrig. Mein Magen hat sich von der stürmischen Fahrt noch nicht ganz erholt, fürchte ich.“
„In einigen Stunden hat sich der Sturm hoffentlich gelegt, dann können wir gemächlicher weiterfahren.“
Er legte sich auf das improvisierte Heuballen-Bett und schaute, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, zur Dachschräge hinauf. Unter seinen Augen zeichneten sich tiefe violette Schatten ab, als ob auch er in der vergangenen Nacht nur wenig Schlaf gefunden hätte. Sie fragte sich, woran er wohl gedacht hatte, als er dort auf der anderen Seite der Zimmerwand im Gasthof lag. So nah und doch so fern.
Er trat mit dem Stiefel gegen das Heu. „Eine Scheune – das ähnelt der Weihnachtsgeschichte fast schon ein wenig zu sehr, denkst du nicht auch?“
Mary lachte. „Immerhin sind wir nicht wie Maria und Josef unterwegs, um uns in die Steuerliste einzutragen. Und ich musste auch nicht auf einem Esel herreiten.“ Es gab auch kein Kind. Kein kleines süßes Baby mit Dominicks blauen Augen, das fröhlich krähte und seine winzigen Ärmchen nach ihr ausstreckte. Als junges Mädchen hatte sie davon geträumt – von den wunderschönen Kindern, die sie gemeinsam haben würden.
Dieser Gedanke ließ erneut Trauer in ihr erwachen. Trauer über den Verlust ihrer Kinder, des leibhaftigen und jener in ihrer Fantasie.
Um ihre plötzliche Wehmut zu verbergen, zog sie die Bürste kräftig durch die unordentlichen Locken. Das brennende Gefühl, das die Borsten auf ihrer Kopfhaut verursachten,
Weitere Kostenlose Bücher