07 - komplett
anderem weiterhin daran gehindert zu werden.“
„Wollen Sie vorher nicht wenigstens noch frühstücken?“
„Mrs Burdock hat mir vor mehreren Stunden bereits ein üppiges Frühstück serviert“, versicherte er rasch.
Auch das passte überhaupt nicht in das Bild, das sich Amelia von dem unverbesserlichen Schwerenöter und Spieler Lord Gideon Grayson gemacht hatte.
Verbrachten Lebemänner nicht gewöhnlich die ganze Nacht in ihren Klubs oder bei ihren Mätressen, um den darauffolgenden Tag in ihren Betten zu verschlafen und sich von ihren Lastern zu erholen?
Vielleicht ändern Lebemänner ihrer Gewohnheiten aber auch, wenn sie auf dem Land weilen, dachte Amelia.
Seine spöttischen Bemerkungen über sein Leben in London ließen sie jedoch darauf schließen, dass Gray trotz seines berüchtigten Rufes möglicherweise gar kein solch unverbesserlicher Schwerenöter und Spieler war.
Aber was ist er dann? fragte sie sich. Zu gerne wollte sie wissen, wie sein Leben in den vergangenen Jahren ausgesehen hatte. Und ganz besonders interessierte es sie, woher wohl die Narben rühren mochten, die sie am vergangenen Abend entdeckt hatte.
5. KAPITEL
Gray war nicht gerade bester Stimmung, als er die Zügel seines Pferdes dem Stallburschen übergab, der dankenswerterweise gleich erschienen war, sobald er in den schneebedeckten Stallhof von Steadley Manor geritten kam. Offenbar waren Neds und wohl auch Mr Davies’ Bemühungen, einige der Dienstboten zur Rückkehr zu bewegen, von Erfolg gekrönt gewesen. Während Gray mit weit ausholenden Schritten auf das Haus zustrebte, wünschte er, seine eigenen Anstrengungen hätten ebenfalls Früchte getragen.
Zumindest war seine Entschuldigung von Lord Stanford wohlwollend entgegengenommen worden. Gray hatte sowohl wegen seiner Zweifel am Wahrheitsgehalt von Lord Stanfords Aussagen wie auch für seine harsche Antwort um Verzeihung gebeten. Auch Alice, Stanfords Gemahlin, hatte sich überaus freundlich gezeigt. Ihre Herzlichkeit hatte ihn sogar veranlasst, nach einem köstlichen Lunch und reichlichem Genuss eines erstklassigen Weines, sein Problem mit Amelia anzusprechen. Im Besonderen die drängende Frage, wo er sie unterbringen sollte, während er die Festtage mit der Familie St Claire in Mulberry Hall verbrachte.
Rückblickend betrachtet musste er sich verbittert eingestehen, dass er dieses Thema wohl besser nicht zur Sprache gebracht hätte.
„Leisten Sie mir beim Tee Gesellschaft, Gideon?“
Steif überreichte Gray seinen Hut und Mantel dem Lakaien, der – ebenfalls dankenswerterweise – erschienen war, sobald er das Haus betreten hatte. Dann wandte er sich langsam Amelia zu, die an der Tür zum Blauen Salon stand. Wieder einmal sah sie höchst bezaubernd aus. Sie trug ein Kleid aus cremefarbener Seide, und ihre strahlend blauen Augen blickten ihn unschuldig fragend an.
Eine Unschuld, die er zukünftig wohl besser im Hinterkopf behalten sollte, wie er sich stumm gemahnte, ehe er mit verächtlich gekräuselter Oberlippe fragte: „Tee?“
„Ja, Tee.“ Amelia neigte graziös den Kopf. „Ich dachte, Sie wollten nach Ihrer Rückkehr mit mir sprechen.“
Zwar hatte der Ritt durch die Kälte einige der Auswirkungen des Weines, den er zum Lunch genossen hatte, vertrieben, gewiss aber nicht alle. Außerdem wusste er immer noch nicht, wo er Amelia unterbringen sollte, wenn er über die Weihnachtsfeiertage nach Gloucestershire reiste. Lady Stanfords Vorschlag anzunehmen, stand für ihn außer Frage.
„Wenn Sie es vorziehen, können wir auch bloß die Weihnachtsdekoration besprechen, Mylord“, sagte Amelia bedächtig, als sie seinen verstimmten Gesichtsausdruck bemerkte.
Seine Miene verfinsterte sich ob der Erwähnung von Weihnachten nur noch mehr, und hinter seinen Schläfen spürte Gray einen leichten pochenden Schmerz. „Ich hege keinerlei Interesse an einem Gespräch über Weihnachtsdekorationen!“
Amelia gab ein keckes kleines Lachen von sich. „Wir sollten das Haus zumindest mit einigen Mistel- und Stechpalmenzweigen schmücken. Das duftet wunderbar und ...
Sie wissen ja wohl, dass Weihnachten bereits in einer Woche ist, Gideon?“
Natürlich wusste er das. Auch aus diesem Grund hatte er Wycliffe Hall aufgesucht. Er hatte gehofft, Lady Stanford würde anbieten, Amelia über die Feiertage bei sich aufzunehmen.
Diese Hoffnung erlosch jedoch, als Lord Stanford, ebenfalls ein enger Freund von Hawk St Claire, verkündete, auch er und seine Gattin hätten eine
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