Magier unter Verdacht
„Eine Eins?“ Jenny Schneider sah Addi Felsfisch ungläubig an.
„Ja!“ Addi nickte so heftig, dass ihm sein langer Pony vor die Augen fiel. Er schob die Unterlippe vor und blies die Haare zur Seite.
Hinter ihm auf der Straße fuhr ein gelber Doppeldeckerbus vorbei und hupte den Fahrer eines dicken schwarzen Mercedes an, der seinen Wagen mit laufendem Motor in zweiter Reihe parkte, ausstieg, ohne den Busfahrer eines Blickes zu würdigen, und quer über den Bürgersteig in einem Fleischergeschäft verschwand.
Jenny und Addi standen am Roseneck und warteten auf ihren Freund Ağan. Wie so oft in letzter Zeit hatten sie sich nach der Schule hier verabredet. Jenny, Ağan und Addi kamen nämlich aus verschiedenen Berliner Bezirken. Jenny lebte mit ihrer Mutter in Lichtenberg, Ağan kam aus Neukölln und Addi lebte in der großen Villa seines Vaters im Grunewald.
Dass sie sich gerne am Roseneck trafen, hatte einen besonderen Grund. Von hier konnten sie zu Fuß in die Villa zu gehen, woes im Garten einen Tennisplatz und einen Swimmingpool gab. Außerdem wartete dort Addis Äffchen Goffi auf die drei. Besonders Ağan hatte den Geoffroy-Klammeraffen ins Herz geschlossen.
Das Roseneck lag in Wilmersdorf und keiner wusste, warum es eigentlich so hieß. Hier wuchsen nämlich keine Rosen und es war auch keine Ecke, sondern eine ziemlich breite Straßenkreuzung, an der ein Hochhaus in den Himmel ragte. Dahinter lag der Grunewald mit seinen Villenvierteln. Am Roseneck gab es viele teuere Feinkostgeschäfte, in denen fast den ganzen Vormittag über immer wieder Männer in feinen Anzügen verschwanden, um sich im Stehen ein Brötchen mit Fleischsalat oder Eisbein mit Kartoffelpüree einzuverleiben.
Außerdem aber gab es auf der anderen Straßenseite auch noch einen kleinen Kiosk, den Addi über alles liebte. Hier versorgte er sich mit Süßigkeiten, Eis und Lesestoff. Der Kioskbesitzer ließ ihn auch in Zeitschriften reinlesen, wenn sich Addi nicht sicher war, ob in dem Heft etwas stand, was er wirklich wissen wollte.
„Wenn es dir gefällt, wirst du das Blättchen schon kaufen“, sagte der ältere Herr in der Strickjacke immer. „Und wenn du es nicht lesen willst, dann lesen es die anderen. Stammkunden haben bei mir jedenfalls Lesefreiheit!“
Das fanden die übrigen Unsichtbar-Affen auch sehr cool. Unsichtbar-Affen nannten sich Jenny, Addi und Ağan, weil sie als Kinder von den Erwachsenen häufig übersehen wurden. Das konnte nerven – hatte aber auch Vorteile, besonders wenn sie als Detektive unterwegs waren. Wer unsichtbar war, sah mehr, und oft genau die Dinge, die eigentlich niemand sehen sollte.
„Wo bleibt Ağan denn nur?“ Addi sah suchend den Hohenzollerndamm hinunter.
„Kommt bestimmt gleich, vorausgesetzt, er hat in der U-Bahn nicht wieder einen Dschinn getroffen“, kicherte Jenny.
„Quatsch“, sagte Addi. „Das war doch nur Zufall neulich.“
Ağan glaubte sehr an Geister und hatte vor einiger Zeit den Anführer einer Berliner Diebesbande zunächst für einen Dschinn gehalten, bis die Unsichtbar-Affen den Fall aufgeklärt hatten.
In diesem Moment kam Ağan in Sicht.
Allerdings bewegte er sich ein wenig ungewöhnlich, um nicht zu sagen: höchst auffällig die Straße hinunter. Anders als sonst flitzte er nicht mit dem Skateboard den Bürgersteig entlang, sondern sprang von der Deckung eines geparkten Autos am Straßenrand in die nächste.
Jenny zog die Stirn kraus. „Was soll das denn? Übt er etwa Anschleichen?“
„Nee“, sagte Addi. „Er sieht sich ja dauernd um! Vielleicht ist ihm jemand auf den Fersen? Ich kann allerdings keinen Verfolgersehen.“ Er winkte mit beiden Armen. „Hey, Ağan! Hier sind wir. Was machst du denn da?“
Keuchend jagte Ağan hinter einem grauen Cinquecento hervor, raste quer über den Bürgersteig auf Jenny und Addi zu und sprang hinter den Kiosk in den Schatten.
„Hallo, meine Freunde!“, keuchte er. „Ist da hinter mir zufällig etwas Rotes?“
„Was Rotes?“ Jenny blinzelte und hielt sich die Hand über die Augen. „Dahinten kommt ein roter VW an.“
„Und eine Frau trägt eine rote Handtasche am Arm“, fügte Addi hinzu.
Ağan schüttelte den Kopf. „Ich meinte eigentlich einen Sessel!“
„Einen roten Sessel? Auf der Straße! Der dich verfolgt … Hm, alles klar!“ Jenny zeigte Ağan einen dreifachen Vogel. „Tut mir leid, aber da muss ich dich enttäuschen. Dir kommt ausnahmsweise kein roter Sessel nachgerannt!“
„Uff!“ Ağan
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