07 - komplett
konnte.
Im Kerzenlicht funkelten seine Augen silbrig. „Du bist erst seit wenigen Stunden hier.
Gewöhnlich dauert es länger, bis die St Claires ihre Gäste zu derselben Unverblümtheit anregen, die sie selbst an den Tag legen.“
Amelia lachte leise. „Sie sind wirklich wunderbar, nicht wahr?“
„Noch nie zuvor habe ich gehört, dass man die St Claires als wunderbar bezeichnet!“, sagte er und verzog den Mund.
„Nun, jetzt hast du es gehört“, erwiderte Amelia geziert. „Ich mag sie alle sehr.
Besonders Arabella hat mich für sich eingenommen“, fügte sie behutsam hinzu und beobachtete ihn verstohlen. Gray wirkte in seinem schwarzen Abendfrack und dem schneeweißen Hemd ebenso majestätisch und stattlich wie die Brüder St Claire.
„Ja, Arabella ...“ Er hielt inne, und seine Gesichtszüge versteinerten. „Hast du bei eurem Gespräch ihr gegenüber vielleicht zufällig erwähnt, auf welche Weise wir uns kennenlernten?“
Ah, daher weht der Wind, dachte Amelia. Unglücklicherweise hatte sie vergessen, Arabella das Versprechen abzunehmen, niemandem von dem Schießunfall zu erzählen. Eine Nachlässigkeit, die, wie es schien, nun auch Gray aufgefallen war ...
Herausfordernd bot sie ihm die Stirn. „Ich verstehe deine Missbilligung nicht, immerhin trage ich allein die Schuld daran, dich angeschossen zu haben.“
Gray war sich sicher, dass sie es tatsächlich nicht verstand. Amelia konnte nicht ahnen, welchen Sticheleien er, ein Geheimagent der Krone, der mehrfache Anschläge auf sein Leben unbeschadet überstanden hatte, nun von den sarkastischen Zungen von Darius und Sebastian zu ertragen haben würde.
Insbesondere, da es ausgerechnet einer Frau gelungen war, ihm eine Schussverletzung zuzufügen. „Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass es besser ist, nicht von diesem Vorfall zu erzählen?“
„Nein, unter den Umständen, in denen dies zur Sprache kam, nicht.“ Immer noch blickte sie ihn herausfordernd an. „Arabella hatte mir davon erzählt, dass du vor einigen Wochen ihr Leben gerettet hast und deshalb nun von ihr und ihrer Familie als Held angesehen wirst.“
Verärgert über Arabellas Gesprächigkeit, presste Gray die Lippen zusammen. „Und es schien dir also selbstverständlich, dich für diese indiskrete Enthüllung zu revanchieren, indem du ihr erzählst, dass du mich angeschossen hast?“
„Nein, natürlich nicht!“ Amelia erhob sich ungehalten, ihre schönen blauen Augen blitzten vor Zorn. „Du hast mich angelogen und getäuscht, Gideon. Und ich glaube, auch deinen eigenen Bruder hast du vor seinem Tod angelogen und getäuscht. Mit anderen Worten, Mylord, Sie sind nicht das, was sie vorgeben zu sein!“
Amelias scharfer Verstand verschlug Gray den Atem. Es beeindruckte ihn, dass sie seine Scharade, die er notwendigerweise in den vergangenen sieben oder acht Jahren hatte durchführen müssen, durchschaute, obwohl sie nur über solch spärliche Informationen verfügte. „Du redest Unsinn, Amelia ...“
„Nein, Gideon! Du versuchst schon wieder, mich hinters Licht zu führen. Und ich lasse mich nicht länger beschwindeln.“ Sie raffte ihre Röcke und blickte ihm ins Gesicht. „Es freut mich zu sehen, dass die Heilung deiner Armwunde in den vergangenen Tagen offenbar gut vorangeschritten ist. Allerdings hege ich nicht den Wunsch, mich noch einmal mit dir zu unterhalten – gleich, über was –, solange du mir nicht die Wahrheit sagst.“
Mit raschelnden Röcken machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ stolz erhobenen Hauptes den Wintergarten.
Gray blieb allein und verdrossen zurück.
„Sie wirken heute Abend ein wenig bekümmert, Amelia.“
Amelia sah auf und schenkte Grace, der selbstbewussten dunkelhaarigen Gemahlin von Lucian St Claire, ein Lächeln. Es war der Abend vor Weihnachten, und sie saßen wieder einmal nach einem üppigen Dinner zusammen im Salon. „Ich bin ein wenig müde“, entschuldigte sich Amelia. „Der Tag war recht anstrengend.“
„Aber hoffentlich haben Sie ihn dennoch genossen“, sagte Grace und setzte sich neben Amelia auf das Sofa.
„Oh, ja.“ Die Duchess of Stourbridge hatte am Morgen alle Damen zusammengerufen und sie gebeten, bei der Auslieferung der Essenskörbe und Geschenke an die auf dem Gut lebenden Arbeiter und Bediensteten zu helfen. Sie hatte diesen Brauch offensichtlich nach ihrer Hochzeit vor zwei Jahren ins Leben gerufen, denn ihrer Ansicht hatten die Pächter und ihre Kinder vor Weihnachten einen größeren
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