Ihre Heimat sind die Sterne
1.
Die Sprechstundenhilfe schloß die Tür. Ein erstaunlich junger, aber sehr energisch wirkender Mann erhob sich hinter dem Schreibtisch und bot Gordon einen Stuhl an.
Gordon setzte sich und blickte verlegen zu Boden.
»Ihr erster Besuch bei einem Psychiater?« erkundigte Dr. Keogh sich freundlich.
Gordon nickte, ohne aufzublicken. »Ich – ah – hatte nie das Gefühl, einen zu brauchen.«
»Wir haben alle irgendwann einmal Probleme. Das ist kein Grund, sich zu schämen. Wichtig ist, man erkennt, daß sie existieren, denn nur dann läßt sich etwas dagegen unternehmen. Sie haben jedenfalls bereits den ersten Schritt getan. Gerade er ist für die meisten der schwierigste.« Er studierte Gordons Krankenblatt, das, abgesehen von den persönlichen Daten, noch leer war.
»Sie sind im Versicherungsgeschäft«, stellte er fest. »Ihrer Position nach zu schließen, müssen Sie sehr tüchtig sein.«
»Ich habe in den letzten Jahren hart gearbeitet.« Gordons Stimme klang gepreßt.
»Mögen Sie Ihre Arbeit?«
Gordon blickte nachdenklich auf. »Nicht besonders.«
Keogh runzelte die Stirn, während er das Blatt weiter studierte. Gordon kämpfte gegen den übermächtigen Impuls an, davonzulaufen. Er wußte, es wäre sinnlos, er würde doch wieder zurückkommen, denn er mußte die Wahrheit wissen.
»Ich sehe, daß Sie unverheiratet sind«, murmelte Keogh. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu sagen, weshalb?«
»Das ist ein Grund, weshalb ich herkam. Es gab ein Mädchen ...« Er brach ab und fuhr dann mit plötzlicher wilder Entschlossenheit fort. »Ich möchte herausfinden, ob alles nur Wahnvorstellungen waren.«
»Welche Art von Wahnvorstellungen?« fragte Keogh sanft.
»Zur Zeit, als es geschah«, erklärte Gordon, »gab es keinen Zweifel für mich. Es war wirklich. Wirklicher und lebendiger als alles, was je zuvor geschehen ist. Aber jetzt – jetzt bin ich mir nicht mehr sicher.« Er blickte Keogh verzweifelt an. »Ich will Ihnen nichts vormachen. Ich möchte diesen Traum nicht verlieren – wenn es ein Traum war. Er bedeutet mir mehr als alle Wirklichkeit. Aber ich weiß auch, wenn – wenn ich ... Ach zum Teufel!« Er stand auf und wanderte ruhelos im Zimmer umher, die Schultern gebeugt und die Hände geballt. Er sah aus wie ein Mann, der darangeht, von einer Klippe zu springen. Und Keogh wußte, daß dieses Gleichnis zutraf. Er wartete geduldig.
»Ich flog zu den Sternen«, murmelte Gordon. »Nicht jetzt, sondern zweihunderttausend Jahre in der Zukunft. Ich erzähle Ihnen die ganze Geschichte, Doktor, dann können Sie mich in eine Zwangsjacke stecken. Mein Geist war über den Abgrund der Zeit in den Körper eines anderen versetzt worden, und eine Weile – ich behielt meine eigene Persönlichkeit, verstehen Sie, Doktor, meine eigenen Erinnerungen –, eine Weile steckte ich im Körper Zarth Arns, eines Prinzen des Mittelgalaktischen Imperiums ...«
Seine Stimme verlor sich. Er starrte zum Fenster hinaus auf den trostlosen Regen und die Dächer und Mauern und Schornsteine der West Sixty-fourth Street.
»Ich hörte die Melodie des Sonnenaufgangs«, fuhr Gordon fort, »die von den kristallenen Gipfeln über Throon klingt, wenn Kanopus sie in ihre ersten wärmenden Strahlen hüllt. Ich habe in der Sternenhalle mit den Sternenkönigen gefeiert. Und zum Schluß führte ich die Flotten des Imperiums gegen unsere Feinde, die Liga der Dunkelwelten. Ich sah die Schiffe wie Leuchtkäfer am Rande des Herkuleshaufen verglühen ...«
Er wandte sich nicht um. Er wollte nicht sehen, wie Keogh seine Worte aufnahm. Er hatte begonnen, und er würde nicht aufhören, und in seiner Stimme schwangen Stolz und Sehnsucht und der Schmerz des Verlusts.
»Ich drang in den Orionnebel ein. Ich war in der Sternenwolke, wo die erloschenen Sonnen in einem Dunst von Dunkelheit schimmern. Ich habe getötet, Doktor. Und in jener letzten Schlacht ...« Er hielt inne und schüttelte den Kopf. Dann wandte er sich abrupt vom Fenster ab.
»Lassen wir das jetzt. Aber es geschah soviel. Ein ganzes Universum lebte und mit ihm Sprache, Namen, Menschen, Orte, Einzelheiten. Könnte ich mir das alles eingebildet haben?« Verzweifelt blickte er auf Keogh.
»Waren Sie glücklich in diesem Universum?« fragte Keogh.
Gordon dachte darüber nach und runzelte die Stirn. »Die meiste Zeit hatte ich Angst. Es war ...« Er machte eine hilflose Geste. »Ich befand mich in ständiger Gefahr. Aber – ja, ich glaube schon, daß ich dort
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