07 Von fremder Hand
hören...«
»Meistens ganz gewöhnliche Dinge. Die Leute machen sich Sorgen wegen ihrer Angehörigen, wegen Krankheiten, Schulden ... Jack, bist du in irgendwelchen Schwierigkeiten?«
»Nichts dergleichen. Obwohl das es vielleicht leichter machen würde.« Er zögerte noch einen Moment, griff dann nach seiner Aktentasche und nahm ein Blatt Papier heraus. »Lies das.«
Neugierig nahm sie das Blatt. Es war ein ganz gewöhnlicher Bogen Schreibpapier. Darauf standen einige lateinische Sätze in einer kleinen, winkligen Handschrift. Darunter waren einige Satzfragmente auf Englisch geschrieben, und sie erkannte sofort Jacks Handschrift.
Des Nachts leuchteten die Kerzen in den Fenstern der großen Kirche wie die Sterne des Himmels... Der Klang unserer Stimmen hallte von Gewölbe und Kreuzgang wider... aus den Wasserspeiern tönte das Lob unseres Herrn. Ihr wisset dies... Was verborgen war, muss... ans Licht. Aus einem Gedanken wird die Wahrheit hervorgehen. Fürchtet euch nicht...
»Was ist das?«, fragte sie und sah Jack an. »Übersetzt du vielleicht irgendetwas?«
»So könnte man es sagen. Nur dass ich es selbst geschrieben habe. Beide Teile.«
»Du hast den lateinischen Text geschrieben? Aber das ist doch nicht deine Handschrift. Das verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht.« Er beugte sich vor, stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und schob das Weinglas beiseite. »Als es anfing, die ersten paar Male, da war ich mir dessen überhaupt nicht bewusst - ich musste einfach annehmen, dass ich das geschrieben hatte, weil es keine andere Erklärung gab. Danach musste ich erst mal ein paar kräftige Schlucke nehmen, das kann ich dir sagen. Aber jetzt... ganz besonders heute - bei dem hier« - er tippte mit dem Zeigefinger auf das Blatt -, »da ist es, als ob ich mich zwar selbst aus der Ferne beobachte, aber ich habe das Gefühl, gar nichts mit dem zu tun zu haben, was da geschieht.«
»Aber du verstehst doch, was du schreibst -«
»Nein. Erst hinterher. Und dann habe ich immer noch meine liebe Mühe mit der Übersetzung.«
Winnie starrte ihn an. »Aber du kannst es doch ganz bestimmt steuern, wenn du willst -«
»Auf den Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen. Du denkst doch, dass ich nicht ganz richtig im Kopf bin, nicht wahr? Ich sehe es an deinem Gesicht.«
Sie gab sich Mühe, sich zusammenzunehmen. »Nein, ich... natürlich denke ich das nicht. Aber du solltest zum Arzt gehen und dich gründlich untersuchen lassen. Vielleicht ist da irgendetwas -«
»Ein Gehirntumor?« Er schüttelte den Kopf. »Keine sonstigen Symptome. Ich konnte auch keine Anzeichen für irgendwelche anderen körperlichen Leiden entdecken. Glaub mir, ich hab’s versucht.«
»Aber dann -«
»Es ist wohl möglich, dass ich eine Art Nervenzusammenbruch erlitten habe, aber ansonsten scheine ich doch ganz gut klarzukommen. Findest du nicht?«
»Natürlich«, beeilte sich Winnie ihm zu versichern. Er wirkte so normal und im Vollbesitz seiner Kräfte wie nur irgendjemand, dem sie je begegnet war, und das machte seine Geschichte nur umso verstörender.
»Gut. Das ist immerhin etwas«, meinte er mit dem Anflug eines Lächelns. »Nachdem ich körperliche Erkrankungen ausgeschlossen hatte, begann ich mit meinen Nachforschungen. Es gibt da Parallelen zu gewissen Ereignissen in der Vergangenheit.«
Winnie bemerkte, dass sie immer noch ihr Weinglas umklammert hielt. Sie entspannte ihre Finger und nahm einen Schluck. Sie zwang sich zu schweigen, denn sie wollte ihn die Geschichte in seinen Worten schildern lassen.
»Sagt dir der Name Frederick Bligh Bond etwas?«
»Hatte er nicht irgendetwas mit der Abtei zu tun? Tut mir Leid, mehr fällt mir dazu nicht ein.«
»Bond war Architekt, genau wie ich, und eine Kapazität auf dem Gebiet der frühen Kirchenarchitektur. Aber er war auch Amateurarchäologe, und als die Kirche von England 1907 die Abtei ihren privaten Eigentümern abkaufte, erhielt er den Auftrag, die Ausgrabungen auf dem Ruinengelände durchzuführen. Er machte einige fantastische Entdeckungen; so war er es zum Beispiel, der die Edgarskapelle freilegte. Das war alles ganz seriös, ganz korrekt; aber dann, mehrere Jahre nach dem Beginn der Ausgrabungen, verkündete er plötzlich, dass er seine Funde den Instruktionen von Mönchen der Abtei verdankte - und dass die Mönche auf dem Wege des automatischen Schreibens mit ihm kommuniziert
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