070 - Der Galgenbaum im Jenseits
bohrte sich in den Rachen des Ungeheuers. Es stieß ein lautes Fauchen aus, und gleichzeitig schnellten die sieben Tentakel nach allen Seiten davon.
Sie klatschten gegen die Felsen.
Metal war wieder frei. Er sprang auf. Scharf und spitz wie Harpunenpfeile wurden seine Finger. Die Krakenmutation - schwer verletzt - schleppte sich zurück.
Das Untier wollte den Todessee erreichen, ins Wasser flüchten, doch Metal gab sich mit dem Rückzug des Scheusals nicht zufrieden. Es hatte ihn angegriffen, wollte ihn töten. Dafür wollte er die Krakenmutation nun bestrafen.
Messerscharf waren seine Handkanten jetzt. Er schlug damit mehrere Fangarme ab. Dann stürzte er sich auf das Scheusal und stach mit den Fingern tödlich zu.
Sobald das Tier verendet war, richtete sich Metal auf und kehrte langsam zu Mago zurück. Es blitzte gefährlich in seinen perlmuttfarbenen Augen.
»Warum hast du mir nicht geholfen?«
»Ich wollte, daß die Sperre endlich bricht. Es ist geschehen.«
»Und wenn es nicht passiert wäre?«
Mago grinste. »Dann hätte dich dieses Ungeheuer gefressen.«
***
Atax hielt sein Pferd an und richtete sich auf. Sie waren endlich beim Todessee angelangt. Es war ein weiter, gefahrvoller Weg von der schwarzen Wolkenburg der Grausamen 5 bis hierher gewesen, und einige Male hatte es nicht danach ausgesehen, als ob es Arma schaffen würde, den See zu erreichen, aber nun waren sie hier, viele Kämpfe und Abenteuer lagen hinter ihnen, und sie hatten Cuca verloren.
»Der Todessee«, sagte Arma fast ergriffen.
»Ja«, sagte Atax, die Seele des Teufels, und nickte. »Das ist er. Hier wirst du ein neues Aussehen annehmen, wirst vollkommen zu Arma werden und auch deine Kräfte wieder uneingeschränkt einsetzen können. Versprichst du auch in Zukunft auf meiner Seite zu stehen?«
Arma hatte gewußt, daß er diese Frage stellen würde. Hätte sie nein gesagt, dann hätte der Dämon sie auf der Stelle getötet. Sie war nicht so dumm, ihr Schicksal so leichtsinnig herauszufordern.
»Selbstverständlich«, sagte sie. »Ich werde nie vergessen, was du für mich getan hast.«
Unter ihresgleichen war Dankbarkeit nicht üblich, und Versprechen waren im allgemeinen nicht viel wert. Arma würde sich nur so lange als Atax' Verbündete betrachten, wie es ihr in den eigenen Kram paßte.
Wenn sie von diesem Bündnis nicht mehr profitierte, würde sie sich bedenkenlos von dem Dämonen trennen. Aber das ließ sie ihn heute nicht wissen.
Heute versprach sie ihm alles, was er wollte, damit er keinen Grund hatte, sie daran zu hindern, das entscheidende Bad im Todessee zu nehmen.
Der Dämon wies auf den schwarzen Bergsee. »Wann bist du soweit?«
»Eine allerletzte Mahlzeit noch«, sagte Arma lächelnd. »Dann werde ich Roxane nicht mehr spüren.«
Sie ritten bis zum Ufer des Sees und stiegen ab. Arma setzte sich auf den Boden, verschränkte die Beine und blickte gebannt auf die spiegelglatte Fläche des schwarzen Sees. Sie verlangte von Atax die Teufelskrautwurzeln und aß so viel davon, wie sie konnte.
Die Wirkung stellte sich sehr schnell ein. Arma… In diesem jungen schlanken Körper hatte nur noch eine Platz: Arma!
Die Wurzelsäfte verdrängten Roxane fast völlig. Nirgendwo vermochte sich die Hexe noch festzukrallen. Die Niederlage war schon fast perfekt, der Tod nahe.
Arma musterte ihren Verbündeten. »Vermißt du Cuca?«
»Ich vermisse sie nicht gerade, aber sie wäre mir eine große Hilfe gewesen.«
»Du kannst mir übertragen, was du ihr zugedacht hast«, bot Arma an.
Die Seele des Teufels nickte. »Das werde ich mir überlegen.«
Arma stand auf. Sie atmete schneller, war aufgeregt. »Endlich«, sagte. sie heiser. »Endlich bekomme ich meinen eigenen Körper wieder.«
»Du darfst erst in den Todessee gehen, wenn du Roxanes Anwesenheit nicht mehr spürst.«
»Das ist bereits der Fäll«, antwortete Arma.
»Gut, dann geh«, sagte Atax, und Arma setzte sich langsam in Bewegung. Ihr Schritt hatte etwas Feierliches. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet.
Ein verklärter Ausdruck erschien auf dem Gesicht, das noch Roxane gehörte, doch bald würde sie anders aussehen. Arma erreichte den Rand des Sees, blieb kurz stehen, als würde sie zögern, als wäre sie nicht mehr ganz sicher, das Richtige zu tun.
Aber dann ging sie weiter.
Sie hatte angenommen, der Todessee wäre eiskalt, doch das war er nicht. Im Gegenteil, er war warm. So warm wie das Blut eines Menschen.
Ein unbeschreibliches Gefühl beschlich sie.
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