0704 - Der Pestbringer
weiche Haut. Die Augenbrauen, die Nase, seine Lippen. Nichts hatte sich verändert.
Vielleicht war sie weicher geworden als sonst, aber das lag am Regen, der auf sie niedergeströmt war. Ansonsten konnte er zufrieden sein.
Er strich sein Haar mit beiden Händen zurück. Es waren nicht einmal mehr Strähnen vorhanden. Sie klebten an seinem Kopf wie eine glatte schwarze Masse.
Diese Bewegung tat ihm gut. Sie war so normal, so menschlich, und sie gab ihm wieder einen Teil der alten Energie zurück. Er gehörte zu den Menschen, die es geschafft hatten, dem Schrecken zu entwischen, und er würde es all denjenigen sagen, die ihn gewarnt und die es so gut mit ihm gemeint hatten.
Trotzdem konnte er sich nicht so recht freuen. Carter Eastland wußte nicht, wer oder was ihn überfallen hatte. Er hatte auf seinem Gesicht diesen Druck gespürt, eine breite Masse, die feucht wie ein Schwamm gewesen war.
Sie war über sein Gesicht hinweggeglitten, hatte nichts ausgelassen und einen bestimmten Druck ausgeübt.
Welche Masse?
Was konnte das gewesen sein?
Im Nachhinein noch schüttelte er sich. Die Warnungen der Menschen waren nie konkret gewesen, ob bewußt oder unbewußt, das konnte er nicht sagen, aber er würde sich darum kümmern, das stand fest. Wenn er es schaffte, wieder in den Ort zu gelangen und wenn der Tag die Dunkelheit abgelöst hatte, dann würde er einigen Menschen sehr konkrete Fragen stellen, dann ließ er sich auch nicht mehr abspeisen, denn jetzt besaß er die entsprechende Erfahrung.
Der Ort lag in einer Senke. Eastland hätte die wenigen Lichter eigentlich sehen müssen, die sich an gewissen Stellen wie ein Heiligenschein ausbreiteten, aber der aus den Wolken rauschende, dichte Regen machte es unmöglich. Er tauchte die Welt ein in die dicke Finsternis, die alles an sich riß.
Carter Eastland machte sich an den Abstieg.
Bei trockenem Wetter war es kein Problem. Nur hatten die Wassermassen jetzt den Boden überspült, die Erde glatt gemacht und sich zu zahlreichen, neuen Bächen formiert, die allesamt bergab strömten und sich irgendwo sammeln würden.
Um ihn herum rauschte, gurgelte und quirlte es. Manchmal hörte er auch ein leises Poltern oder Klacken, wenn die Steine, die der Wasserdruck gelöst hatte, gegeneinander prallten.
Der Regen schüttete auf ihn nieder. Hin und wieder bewegte sich die Wand aus Wasser. Immer dann, wenn es der Wind schaffte, mit einem kurzen harten Stoß in sie hineinzudrücken.
Carter Eastland hatte Glück, daß er sich auf den Beinen halten konnte, auch wenn es hin und wieder Mühe kostete, er die Arme ausbreiten mußte, um das Gleichgewicht zu halten.
Der Wasservorhang war so dicht, daß er die ersten Häuser erst sah, als er beinahe gegen sie gelaufen wäre. Da waren die Schatten starr und schwarz, da hämmerte die Flut auf sie nieder, und er lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Wand, geschützt durch ein schmales, vorspringendes Dach vor dem großen Regen.
Hier holte er Luft.
Hier lachte er und freute sich. Er war naß bis auf die Haut, aber er lebte, und darauf kam es an.
Am Hals, wo ihn die kalte Hand gewürgt hatte, spürte er noch einen leichten Druck.
Er wartete noch einige Minuten und ging durch die schmale Gasse in das Zentrum des Orts, der völlig ausgestorben war. Kein Mensch ließ sich blicken, nicht ein Licht brannte hinter den Fenstern, die ebenso wie die Fassaden der Häuser unter dem mächtigen Regenschleier verschwanden und verschwammen.
Er hatte ein Zimmer in einem schmalen Haus bekommen. Zu ihm führte eine Außentreppe hoch, mehr eine Leiter. Sie endete an einem Vorsprung, der von der Zimmertür begrenzt wurde.
Es dauerte nicht lange, dann hatte er die Leiter gefunden. Auch sie war naß, das Holz kam ihm weich vor. Wie Blei schien es unter seinen Füßen zu schmelzen. Der Wind kam von der Seite, erwischte ihn, schüttelte ihn durch und brachte immer wieder neue Regenduschen mit, die ihn nicht mehr störten.
Die Tür war verschlossen. Den Schlüssel trug er bei sich, öffnete sie und drückte das klemmende Viereck nach hinten, wobei er in einen Flur schaute, der sehr eng war, muffig und feucht roch.
Drei Zimmer verteilten sich hier oben. Der Ausdruck Kammer wäre besser gewesen, aber Carter war nicht anspruchsvoll, wenn er seine Recherchen durchführte.
Das Wasser tropfte auf den alten Teppich. Licht machte er nicht. Auch im Dunkeln fand er sich zurecht.
Seine Kleidung roch naß, auch nach Schlamm oder Gras. Ein starker Geruch, der
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