0717 - Das Treibhaus des Schreckens
geworden. Manche hätte ihn als kalt bezeichnet. Der zurückliegende Sommer war längst in Vergessenheit geraten.
Willy musste etwas essen. Er hatte sich eine Tüte Pflaumen besorgt. Eine nach der anderen stopfte er sich in den Mund und spie die Steine ins Wasser. Er hatte sich vorgenommen, die Tüte zu leeren und dann zu seiner Wohnung zu fahren.
Morgen war wieder ein neuer Tag. Da würde er dann fröhlich pfeifend seine Arbeitsstelle besuchen und sich darauf freuen, mit seinen Lieblingen zusammen sein zu können.
Der Gedanke daran munterte ihn dermaßen auf, dass er damit begann, ein Lied zu summen.
Nicht sehr lange. Abrupt unterbrach er die Melodie, weil er ein Geräusch hörte, das ihm gar nicht passte.
Er schaute nach rechts, von dort war es aufgeklungen. Noch konnte er nichts erkennen, Sekunden später aber sah er den hellen Schein über der Böschung, verursacht von einem Scheinwerfer, der seinen Lichtkegel über die Fläche hinweg schickte. Da heulte auch schon der Motor auf.
Willy erhob sich. Er hörte einen Schrei, dann hüpfte der lange Scheinwerferstrahl in wilden Bewegungen über die Böschung und erreichte die Wasserfläche des Kanals, wo er wie ein zuckender Schleier über den kleinen Wellen tanzte.
Die Schreie wiederholten sich. Für Willy stand fest, dass der Fahrer ein Irrer war. Sich bei diesem Wetter mitsamt seiner Maschine in den Kanal fallen zu lassen!
Willy hielt den Atem an, als er sah, wie abrupt sich der Scheinwerferstrahl drehte. Der Motor heulte noch einmal heftig auf. Dann war es geschafft.
Dicht vor Erreichen des Ufers hatte der Fahrer noch die Kurve gekriegt und war auf dem Weg geblieben. Das war nicht einfach gewesen, es glich bereits einer artistischen Leistung. Jetzt aber jagte der breite Lichtarm in eine andere Richtung. Genau auf Willy zu.
Er stand noch immer vor der Bank. Plötzlich traute er sich nicht mehr, sich hinzusetzen. Er kam sich in dem Lichtkegel vor wie ein Gefangener und hörte dann das böse Röhren des Motors. Es erinnerte ihn an das Gebrüll eines Ungeheuers, das sich ausgerechnet ihn als Beute ausgesucht hatte.
Die Maschine raste vor. Sie brüllte, sie war wie ein Lebewesen und sie würde alles aus dem Weg räumen, was sich ihr entgegenstellte.
Willy hielt die Augen geschlossen. Noch immer war er nicht fähig, sich zu bewegen. Die Welt um ihn herum war nicht mehr die, die er kannte, sondern eine völlig fremde. Er glaubte sich in einen schrecklichen Film versetzt.
Würden sie ihn überfahren?
Sie rasten herbei – und bremsten dicht vor Willy Manson, dass dieser von den durch die Reifen aufgeworfenen Erdklumpen an den Hosenbeinen erwischt wurde und daran dachte, dass jetzt das Rad gegen seine Beine schlagen würde.
Aber es passierte nichts. Nicht einmal einen Kratzer bekam er ab.
Stattdessen bemerkte er trotz seiner geschlossenen Augen, dass der Fahrer den Scheinwerfer der Maschine ausgeschaltet hatte. Die Dunkelheit war zurückgekehrt. Willy öffnete die Augen und sah die beiden Gestalten vor sich.
Sie hatten ihre Maschine aufgebockt. Einer stand neben dem Lenker, der andere hielt sich am Rücksitz auf.
Rocker waren es nicht. Die fuhren nicht ohne Helm und entsprechende Kleidung wie diese beiden Typen. Sie sahen eher aus, als hätten sie die Maschine gestohlen. Als Motorradfahrer konnte man sie auch nicht ansehen.
Der Vordere trug einen langen Staubmantel, ähnlich wie die Helden in den Italo-Western. Unter dem Mantel war die Kleidung dunkel. An einigen Stellen allerdings glänzte sie. Willy konnte nicht erkennen, ob es sich dabei um Messer oder andere Stichwaffen handelte.
Ein blitzschnell geführter Schlag gegen die Brust schleuderte ihn bis auf die Bank zurück. Er krachte mit dem Rücken gegen die Lehne, die bedenklich knirschte, und hörte auch das gemeine Lachen des Schlägers, bevor dieser dicht an ihn herantrat und auf ihn nieder schaute.
Was der Mann sah, reizte ihn abermals zum Lachen, denn Willy Manson sah nicht gerade aus wie Arnold Schwarzenegger. Er war das glatte Gegenteil von ihm.
Klein, fast glatzköpfig, etwas zu dick, mit einem runden Gesicht, das ihm in der Schule den Spitznamen »Vollmond« eingebracht hatte.
Eine fette Beute für die beiden Kerle.
Jetzt kam auch der Zweite näher. Er trug eine Hose aus dünnem Leder, das bei jedem Schritt Falten warf und knarrte. Auf seinem Kopf hatte er eine Mütze oder Kappe gesetzt, so ein Ding, wie es die Motorradfahrer in den Fünfzigerjahren getragen hatten. Von den Gesichtern
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