072 - Auf Leben und Tod
zog er sich aus dem Wagen - und verharrte. Von hier aus hatte er einen Ausblick auf fast den gesamten Kampfplatz.
Nicht weit von ihm entfernt - an die dreißig Yards - lag der blutüberströmte Torso eines Mannes in einer der Lichtungen, die sich zwischen dem Schrott öffneten. Der Leichnam hatte keinen Kopf mehr, doch an der Kleidung erkannte Matt, um wen es sich handelte.
Es war Barrn.
Auch sein Gegner hatte nicht mit fairen Mitteln gekämpft - Koruuns Unterführer hatte ein grausames Ende unter dem Blatt einer Motorsäge genommen.
Schaudernd wandte sich Matt wieder seinem Gegner zu. Was hatte das für ihn zu bedeuten? Was würde nun geschehen?
Mit maßlosem Erstaunen verfolgte Matt, wie der Ostmann die Waffe vor ihm auf den Boden legte. Dann sagte der Krieger etwas und ließ sich auf die Knie nieder, ließ sein Haupt sinken.
Einem Impuls gehorchend, nahm Matt die Waffe auf und richtete sie auf seinen Gegner. Die Pistole war geladen, und Matt hätte nur abzudrücken brauchen - doch von dem Ostmann schien keine Gefahr mehr auszugehen.
Was also sollte er tun?
Das Gebrüll der Menge steigerte sich wieder. Matt blickte zum Lager der Mogoolen hinüber. Er sah sie schreien und ihre Fäuste ballen, und er hörte, wie sie immer wieder ein Wort skandierten:
»Smerrt! Smerrt! Smerrt!«
Doch nicht nur Koruuns Leute - auch die Ostmänner schrien und brüllten wie von Sinnen, und nicht etwa, um die Herausgabe ihres Mannes zu fordern oder für ihn um Gnade zu bitten. Auch sie schienen lautstark den Tod ihres Kämpfers zu fordern, wenn Matt ihre Gesten richtig deutete.
Er war ebenso verwirrt wie entsetzt.
Was, verdammt noch mal, sollte das?
Wieder eine jener seltsamen Auslegungen von Ehre, die die Steppenvölker pflegten? Oder steckte noch etwas anderes dahinter? Wieso verlangte man den Tod des Ostmannes, nun, nachdem Barrn nicht mehr am Leben war?
Nur eines wurde Matt immer klarer - dass er eine Entscheidung treffen musste.
Man verlangte von ihm, dass er kaltblütig einen Mann liquidierte, der wehrlos vor ihm am Boden kauerte.
Alles in Matt sträubte sich dagegen, dem nachzukommen. Doch wenn er es
nicht tat, beschwor er damit vermutlich ungeahnte Komplikationen herauf, vielleicht sogar Koruuns Niederlage.
Die Logik verlangte, dass er nach den Regeln der Mongolen spielte… aber wenn diese Regeln einen eiskalten Mord von ihm verlangten…?
Das Geschrei der Menge steigerte sich noch mehr, die Stimmen der Schaulustigen überschlugen sich. In ihren Blutdurst mischte sich jetzt noch unverhohlener Zorn darüber, dass Matt so lange zögerte.
Er sandte einen Blick zu der Ruine hinüber, in der er Aruula wusste. Er ahnte, was die Barbarin ihm jetzt geraten hätte - die Skrupel zu unterdrücken und ans Überleben zu denken.
Aber Matt konnte es nicht tun.
Er wollte es nicht und er konnte es nicht.
Die Waffe in der Hand, blickte er auf den Ostmann hinab, der vor ihm am Boden kauerte und am ganzen Körper zitterte - eine entstellte, fehlgeleitete Kreatur, die von Mächten missbraucht wurde, die sie nicht einmal ansatzweise begriff und von deren wahren Plänen sie nicht das Geringste wusste.
Nicht dieser Ostmann, sondern der Weltrat trug die Schuld an allem, was hier geschah - und Matt würde nicht diesen einen dafür zur Rechenschaft ziehen.
In einem jähen Entschluss sicherte er die Pistole und steckte sie in den Hosenbund.
Mochten sich andere zum Werkzeug der WCA machen lassen - er nicht…
***
»Verdammt! Was tun elender Narr?«
Kublai Koruun, der die Geschehnisse mit immer größer werdenden Augen verfolgt hatte, war außer sich - ebenso wie die Zuschauer, die sich draußen am Maschenzaun einklammerten.
»Verrückt geworden? Warum nicht töten diesen Osnok?«
»Das ist Maddrax«, sagte Aruula, die noch immer neben ihm stand und in den letzten Minuten um das Leben ihres Gefährten gezittert hatte. »Er ist ein Mann von Ehre. Er tötet keinen Wehrlosen.«
»Pah«, machte Koruun und spuckte aus. »Osnok Leben verwirkt, Opfer für Götter.«
»Deine Götter werden sich ihr Opfer selbst holen müssen, Kublai Koruun«, sagte Aruula ungerührt. »Maddrax wird keinen wehrlosen Mann töten. Das ist nicht seine Art. Er ist ein Krieger und kein Mörder.«
»Pah«, stieß Koruun hervor und machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Dann eben beide töten. Opfer muss gebracht werden, sonst Götter zornig.« Mit einer beiläufigen Handbewegung wies der Häuptling die Garde seiner Krieger an, den Befehl
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