0730 - Der unheimliche Todesengel
aufgestanden.
Minutenlang schaute Suko mit leerem Blick durch die Scheibe. Sein Gesicht war erstarrt. Die Haut hatte sich dem Wetter angeglichen, so grau war sie geworden. Er atmete nur mehr flach, er hatte auch kein Licht gemacht, so daß die Wohnung ebenfalls in einem konturenschmelzenden Dämmer verschwand.
Nebenan wohnte sein Freund und Kollege, der Geisterjäger John Sinclair. Zur Zeit trieb er sich in den Alpen herum.
Suko wußte nicht einmal, um was es da genau ging, es interessierte ihn auch nicht. Er wollte selbst auch keinen Fall lösen, weil er sich dazu einfach nicht in der Lage fühlte. Alles drehte sich nur um sein Schicksal.
Er trat vom Fenster weg.
Die Wohnung kam ihm kalt vor und leer. Dichte Schatten umfingen ihn, er verwünschte diesen Ort, wollte eigentlich nicht mehr bleiben, setzte sich trotzdem hin.
Ein Blick auf die Uhr.
Schon fast Abend. Die Zeit verging. Suko schaltete den Fernseher ein, stellte den Ton aber leise.
Channel crossing brachte ihn ebenfalls auf keine anderen Gedanken.
Gegen 19.00 Uhr stellte er die Glotzkiste ab und sagte sich, daß er etwas essen mußte. Daß überhaupt ein Hungergefühl vorhanden war, sah er als gutes Zeichen an.
Suko ging in den Flur, wo er seine Lederjacke überstreifte. Dann verließ er die Wohnung, schloß ab und fuhr mit dem Lift nach unten. Er hielt schon zwei Etagen tiefer. Zwei Frauen stiegen ein, die ihn mit großen Augen anschauten, als er grüßte.
»Sie haben wir aber lange nicht mehr gesehen«, sagte die eine, die so klein wie ein Kind war und durch ihr Kopftuch ein hexenhaftes Aussehen bekommen hatte.
»Ich war weg.«
»Urlaub?«
»Ja.«
»Ach Gott. Wo denn? Bei diesem Wetter fährt man doch nicht in Urlaub, finden Sie nicht?«
Suko hob die Schultern.
Bevor die neugierige Person nachfragen konnte, stoppte der Lift. Fast fluchtartig verließ Suko ihn.
Draußen wehte ihn der kalte Sprüh an. Er stellte den Jackenkragen hoch, drückte den Kopf nach vorn und tauchte in das dunstige Grau der abendlichen Dämmerung.
London ist eine Großstadt. Millionen Menschen haben dort ihr Zuhause gefunden. Dennoch konnte sich der einzelne sehr einsam fühlen. Davon blieb Suko nicht verschont. Als Einsamer bewegte er sich durch Soho, an dessen Rand das Hochhaus stand, in dem er und sein Freund John Sinclair wohnten.
Die Umgebung lief dabei wie ein Film vor ihm ab. Er fühlte sich wie jemand, der gar nicht dazugehörte. Verschiedene Szenen, gemischt aus Hell und Dunkel und lauten oder weniger lauten Geräuschen, die alle wie hinter einer Wand verschwanden.
Er wollte nicht bei einem Chinesen essen. Er wollte allein bleiben und seinen Gedanken nachhängen. Keine Fragen, keine Gespräche, nur für sich sein und überlegen.
Suko kannte sich aus.
Aus dem Sprühdunst leuchtete ihm schon sehr bald eine bunte Reklame entgegen. Sie wies auf ein kleines Bistro hin. Suko war schon einmal dort gewesen. Ein junges Ehepaar betrieb das Lokal. Dort konnte er einige Snacks essen, aber auch frischen Salat vom Buffet.
Das Lokal war wie ein Wintergarten aufgemacht. Glaswände nach außen. Das Innenlicht schimmerte darin. An der Decke drehte sich eine Kugelleuchte, ohne Reflexe abzugeben.
Suko entschied sich für einen der schmalen Tische, der nicht besetzt war. Hinter der Theke kochte die junge Frau. Sie war blond und trug eine Kochmütze.
Ihr Mann nahm die Bestellungen entgegen und bediente auch. Suko bestellte ein Wasser und las in der Speisekarte. Die Baguettes kamen frisch aus dem Ofen. Ihr Duft schwebte durch das Lokal. Man bekam automatisch Hunger.
Suko bestellte noch weißen Wein, vermischte ihn mit dem Wasser und entschied sich für ein mit Thunfisch und Salat belegtes Baguette. Es wurde ihm schnell serviert.
Er aß langsam und bedächtig. Ließ sich Zeit, kaute gut durch und machte einen geistesabwesenden Eindruck. Auch die leise Hintergrundmusik hörte er nicht, und die anderen Gestalten bewegten sich für ihn wie durch einen Nebel.
Es schmeckte ihm. Er aß, er trank. Mit jedem Bissen und jedem Schluck kam es ihm vor, als wäre er dabei, ein Stück seiner neuen Vergangenheit hinter sich zu lassen. Er arbeitete gezielt darauf hin, wieder der alte zu werden, und dieses Mahl gehörte wieder zum normalen Leben, denn ohne konnte ein Mensch nicht existieren.
Die Zeit der Leere und des dumpfen Dahindenkens mußte endlich vorbei sein.
Suko fühlte sich besser.
Er atmete durch.
Einige Male tat er dies. Er trank einen Schluck und prostete sich dabei
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