0745 - Angst über Altenberg
daß die andere Seite nie aufgibt. Lilith wollte ihn nicht hergeben. Sie hatte ihn stets unter Kontrolle, denn auch in dieser Gegend existierte eine Person, die ihr treu ergeben war.«
»Die alte Waldhexe.«
»Mit ihren Opfern, die sie beherrschte. Die lebenden Leichen, zu deren Liebling Elohim wurde. Sie hätten ihn gern genommen, sie hätten es beinahe auch geschafft, aber du warst eben besser, John. Du hast ihn gerettet, dafür bedanke ich mich bei dir noch einmal. Doch nun ist deine Zeit vorbei. Liliths Einfluß wurde zurückgeschlagen, und ich kann mich wieder um meinen Sohn kümmern.«
»Heißt das, daß du ihn mitnehmen willst?«
»Ja, er soll bei mir bleiben.«
»Und dann? Was kannst du ihm bieten, Raniel?«
Der Gerechte hob die Schultern. »Was kann ihm diese Welt bieten, John Sinclair? Haß, Krieg, Zwietracht? Menschen, die sich gegenseitig zerstören, die es nicht zu einem Frieden kommen lassen wollen, weil sie einfach zu egoistisch sind? Was er noch lernen muß, das kann, das werde ich ihm beibringen, und ich werde auch dafür sorgen, daß er niemals mehr in die Hände der Urdämonen fällt. Er soll nicht mehr mißbraucht werden. Diese Zeiten sind für ihn vorbei.«
Es hörte sich gut an, aber ich war nicht davon überzeugt. Deshalb wandte ich mich an Elohim.
»Willst du es denn?« fragte ich ihn.
Der Junge überlegte. Er schaute an der Gestalt seines Vaters hoch, die so düster wirkte, aber er sah auch mich an.
»Nun?«
Der Gerechte lächelte. Da wußte ich, welche Antwort mir Elohim geben würde. »Er ist mein Vater. Ich habe lange nach einem Vater gesucht, John. Jetzt habe ich ihn gefunden. Und ich werde auch bei ihm bleiben, weil ich so dankbar bin, daß er zurückgekehrt ist. Das mußt du verstehen, bitte. Auch dir bin ich dankbar, aber du bist ein. Freund, und er ist mein Vater.«
Ich nickte ihm zu. »Okay, Elohim, okay.« Ich lächelte etwas schmerzlich. »Du hast dich entschieden, und ich habe diese Entscheidung zu akzeptieren. Ich hoffe, daß es dir immer gutgehen wird und du niemals wieder in eine so schreckliche Gefahr gerätst.«
»Ich vertraue meinem Vater, John.«
»Das kann er auch«, sagte Raniel.
Nach dieser Antwort riß sich Elohim los und stürmte auf mich zu. Jetzt benahm er sich wieder wie ein normales Kind. Ich bückte mich, und er umarmte mich. Ich spürte seine Wange an der meinen und spürte auch die Nässe der Tränen. »Ich habe dich auch lieb, John. Ich weiß ja, daß es dich gibt, denn du bist mein Freund.«
»Klar, mein Junge«, sagte ich leicht kratzig.
»Bist du mir nicht böse?«
»Nein!«
Er preßte sich noch einmal an mich, dann ließ er mich los und ging zu seinem Vater.
Ich stemmte mich hoch. Mein Gesicht mußte dabei wie geschnitzt wirken.
Auch in Raniels Zügen regte sich nichts, als er mich anschaute und dann nickte.
»Wir werden jetzt gehen«, sagte er, zog den Jungen herum und wandte sich selbst ab.
Ich schaute ihnen nach.
Keiner drehte sich mehr um und sah zu mir zurück. Aber ich wußte, daß zumindest Elohim gedanklich in meiner Nähe weilte. Das tat mir irgendwie gut, ohne allerdings meine Trauer vertreiben zu können.
Ich schaute ihnen nach, bis sie die Kirche verlassen hatten. Dann erst ging auch ich.
***
Ich kehrte zurück in die Kühle der Nacht, fröstelte und hielt mein Gesicht trotzdem gegen den kühlen Wind. Wieder einmal war ein Kapitel beendet worden, und ich glaubte fest daran, daß ich Raniel noch des öfteren sehen würde.
Ihn und Elohim…
Der Junge wollte mir nicht aus dem Kopf, und diese Sorge sah mir Herr Massow an, als ich das Hotel betrat und er mir plötzlich gegenüberstand, als hätte er auf mich gewartet.
»Ist alles in Ordnung, Herr Sinclair?«
Ich legte meine Hand auf das Geländer der Treppe. »Fast«, sagte ich.
»Kann ich denn etwas für Sie tun?«
Ich lächelte schief. »Geben Sie mir bitte eine Flasche Rotwein. Ich nehme sie mit nach oben. Irgendwie habe ich zuviel nachzudenken.«
»Klar, Herr Sinclair, verstehe.« Er wollte schon gehen, als er sagte: »Die Flasche geht auf meine Rechnung.«
»Danke, Herr Massow, danke…«
Dann ging ich mit schleppenden Schritten die Treppe hoch zu meinem Zimmer. Die Flasche Wein würde ich schon bekommen, darüber machte ich mir keine Sorgen…
ENDE
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