0926 - Mörderische Lockung
»Nicht immer gewinnt man, nicht immer! Du hast mich gefangen, du hast mich gefesselt, aber oft ist der Tod so schnell, daß auch du ihm nicht ausweichen kannst.«
»Glaubst du es?«
»Ja!«
»Du irrst dich!«
»Der Teufel holt dich!«
»Oder dich, du Hexe!« brüllte der Mann, rüttelte wie ein Gefangener an den Stäben und freute sich darüber, daß sie so fest saßen. Dann sprang er hoch und lief weg.
Zurück blieb Beth Calvaro. Gefangen wie ein Tier. Sie trug noch das graue Sommerkleid, dessen Stoff bläulich schillerte. So hätte sie auch zu einem Ball gehen können, statt dessen lag sie in einem Verlies, und der rauhe Boden hatte die hauchdünnen Nylons aufgerissen.
Aber sie lächelte.
Sie dachte an den Bärtigen, der glaubte, sicher zu sein. Mochte er hier an der Küste auch als King gelten, der uneinnehmbar in seiner Festung hockte, doch auch Könige verloren. Und sie würde dafür sorgen, daß er verlor.
Wer gewann schon gegen eine Hexe?
***
Der junge Mann auf dem Fahrrad kam sich wie berauscht vor, als er durch die Nacht radelte. Er hatte den schmalen Weg an der Küste genommen, der für Kraftfahrzeuge zu schmal und auch verboten war, doch mit seinem Eike kam er gut durch.
Alfonso war hier geboren, der kannte jeden Winkel. Er kannte die Felsen und auch die einsamen Buchten, wo die Frauen nackt badeten, weil sie sich unbeobachtet fühlten.
Oft ein Irrtum.
Alfonso hatte seine Augen überall. Und mit seinen knapp zwanzig Jahren wollte er mehr als nur schauen. Sein Blut drängte, er brauchte die Mädchen, doch er hatte sich nach einer reiferen Frau gesehnt, sie auch gefunden, und er hatte es mit ihr getrieben. Doch noch immer brauste das Blut in seinem Kopf, wenn er daran dachte. Stärker als die Brandung, die ihn auf seiner Fahrt begleitete.
In der letzten Nacht hatten sich er und die Blonde, deren Namen er nicht mal kannte, noch im warmen Sand gewälzt. Sie hatte ihn verrückt gemacht. Alfonso träumte noch immer davon.
Am letzten Abend.
Schon lange her.
Aber er konnte nicht vergessen. Den ganzen Tag über hatte er nur daran denken können. Immer wieder hatte er sich ihren Körper vorgestellt. Er war verrückt nach ihren Brüsten gewesen, und sie hatte seine Sehnsucht gestillt und ihm auch sonst alle Wünsche erfüllt.
Wahnsinn…
Und dann hatte sie ihn um einen Gefallen gebeten, als kleines Dankeschön für die Liebesnacht. Er sollte in der nächsten Nacht einen Brief für sie einwerfen, das war alles.
Alfonso hatte natürlich zugestimmt, er hätte ihr nichts abschlagen können Zwar war es ihm komisch vorgekommen, daß er den Brief erst bei Dunkelheit einwerfen sollte, aber sie hatte sicherlich ihre Gründe gehabt. Danach fragen wollte er sie nicht, vielleicht beim nächsten Treffen, das sie ihm fest versprochen hatte. In zwei Tagen sollte er sich wieder in der kleinen Bucht aufhalten. Sie würde dort nach Einbruch der Dunkelheit erscheinen und ihn noch tiefer in die Lehren der Liebe einführen.
Noch zwei Tage!
Wie sollte er die Zeit überstehen? Er wußte es nicht. Er würde verbrennen, er würde innerlich vergehen, er würde vor Sehnsucht schmachten, und er würde nicht konzentriert bei der Arbeit sein. Seine Eltern, die das Lokal führten, würden sicherlich etwas merken.
Ausgerechnet jetzt, wo die Hochsaison auf vollen Touren lief, wurde jede Hand gebraucht.
Er hatte sich schon ausgerechnet, daß er am frühen Morgen anfangen wollte, um bis zum Einbruch der Dunkelheit ohne Pause durchzuziehen.
Dann würden ihn seine Eltern schon laufenlassen, außerdem waren noch sein älterer Bruder da und seine Schwägerin.
Die Frau hatte ihm noch eingeschärft, diesen kleinen Umweg zu fahren, bevor er den Brief einwarf. Sie hatte von einer geheimen Sendung gesprochen und dabei gelacht.
Danach hatte sie sich angezogen und war gegangen. Alfonso hatte ihr zunächst folgen wollen, doch als er sah, welche Richtung sie einschlug, hatte er davon Abstand genommen.
Sie war zum Haus des Dons gegangen. Er war in dieser Gegend etwas Besonderes. Er hatte Einfluß und unterhielt beste Beziehungen nach Madrid, das sagte man ihm jedenfalls nach. Angeblich sollte er den König kennen, und was der sagte, das wurde getan.
Die meisten Männer bewunderten den Don. Nicht nur wegen seines Reichtums, sondern auch wegen der Frauen, die in seinem Haus verkehrten. Es waren die Schönsten unter den Schönen, und in der kleinen Bucht unter dem Haus ankerten oft genug die Schiffe seiner Besucher, die er zu seinen
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