0757 - Das Reich der Großen Schlange
nicht feindselig. Vor allem die runden Gesichter der kleineren Kinder waren stattdessen von grenzenloser Neugier geprägt.
Sie fassten die Kleidung der Fremden ungeniert an. Vor allem Zamorras eleganter taubengrauer Anzug hatte es ihnen angetan.
Die beiden Einheimischen, die mit Zamorra und Oleg gekommen waren, berichteten nun ihren Stammesbrüdern etwas in ihrer Muttersprache. Zamorra beherrschte zwar alle möglichen und unmöglichen Sprachen und Dialekte, doch da musste er auch passen. Oleg sah man ebenfalls an, dass er nur Bahnhof verstand. Aber man konnte auch am Tonfall und an den Gesten deutlich erkennen, worum es ging.
Die Tungusen sprachen über die Flammen, die vom Himmel gefallen waren. Und über die beiden Feuermänner, die offenbar unversehrt aus dem verheerenden Inferno herausgetreten waren.
Der ältere von Zamorras einheimischen Führern wandte sich nun auf Russisch an den Dämonenjäger.
»Ich habe einen der Jünglinge losgeschickt, um unseren Schamanen zu holen. Er ist hier irgendwo in der Umgebung, um Kräuter zu sammeln. Thaagu… Ah, da ist er ja schon!«
Der Tunguse deutete auf einen dürren, uralten Mann mit kahlem Schädel. Er schritt in Begleitung eines jungen Burschen heran, der ihn offenbar hatte holen sollen. Aber nun war der Schamane bereits von selbst erschienen.
Zamorra nahm ihn näher in Augenschein.
Der Alte, den der Tunguse Thaagu genannt hatte, trug einen weiten Mantel mit Eisen-Zierrat. Darunter schauten Stiefel im mongolischen Stil mit nach oben gebogenen Spitzen hervor.
In der rechten Hand hielt Thaagu seine Geisteitrommel. Diese Instrumente benutzten fast alle sibirischen Schamanen, um sich durch deren Klänge mit Welten des Jenseits in Verbindung zu bringen. Die linke Hand hatte Thaagu unter seinem Mantel verborgen.
Würdig schritt der Schamane auf Zamorra zu. Und doch glaubte der Dämonenjäger, so etwas wie Furcht in Thaagus dunklen Augen aufblitzen zu sehen.
Warum nur?, fragte sich Zamorra. Glaubte der Schamane vielleicht, dass der Dämonenjäger und der Anarchist für das flammende Inferno verantwortlich seien?
Plötzlich spürte Zamorra ganz deutlich, dass Thaagu sich für Merlins Stern interessierte. Der Schamane versuchte, seine Gefühle zu verbergen, aber der Professor hatte in dieser Hinsicht genügend schlechte Erfahrungen machen müssen. Vor allem Wesen mit magischen Fähigkeiten waren es, die oft genug das ungeheure Zauber-Potenzial des Amuletts wittertenr Und von dieser Aufmerksamkeit bis zur Begehrlichkeit war es oft nur ein kleiner Schritt.
Zamorra beschloss also, besonders gut auf Merlins Stern aufzupassen, den er wie immer an einer Kette um den Hals trug.
Doch während er sich noch Gedanken über sein Amulett machte, verschwand es plötzlich!
Das beunruhigte Zamorra nun allerdings überhaupt nicht. Es war ein normaler Ruf gewesen, durch den das Kleinod seinen Weg in die Hände von Nicole Duval gefunden hatte. Da war sich der Dämonenjäger sicher.
Das Verschwinden des Amuletts hätte ihn höchstens indirekt nervös machen können. Denn es bedeutete ja, dass sich seine Lebens- und Kampfgefährtin sowie Sekretärin aktuell in Gefahr befinden musste.
Doch auch diese Schlussfolgerung nahm Zamorra relativ gelassen hin. Er kannte den Mut und die Klugheit seiner schönen Gefährtin, die sich schon oft genug aus scheinbar ausweglosen Situationen selbst befreit hatte.
Der Dämonenjäger blieb also von allen Anwesenden zweifellos am ruhigsten. Oleg reagierte sichtlich geschockt, als sich das Schmuckstück am Hals seines Reisegefährten scheinbar in Luft auflöste.
Auch die wundergläubigen Tungusen brachen in Rufe des Erstaunens und der Verblüffung aus. Doch am Heftigsten reagierte der alte Schamane auf das Rufen von Merlins Stern.
Thaagu schrie, als ob man ihm das Herz aus der Brust gerissen hätte!
***
Kurz vorher
Nicole Duval und Lena Kuslowa flogen durch die Luft.
Bil, der Stammesgott der Tungusen, hatte die beiden Frauen vor dem sicheren Feuertod gerettet. Sie steckten nun mit ihm in einer magischen Luftblase und bewegten sich am Sommerhimmel entlang.
Die Zobeljägerin kam aus dem Staunen nicht heraus. Vor kurzem hatte sie Nicole noch für eine Helferin ihres brutalen Ehemannes Pjotr Kuslow gehalten. Daher hatte Lena Nicole töten wollen.
Aber dann war Bil gekommen und hatte die Sache geklärt. Gerade rechtzeitig, bevor das zylindrische Objekt über der Tunguska explodiert war und die ganze Welt in Flammen gehüllt hatte.
Jedenfalls kam es
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