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0757 - Das Reich der Großen Schlange

0757 - Das Reich der Großen Schlange

Titel: 0757 - Das Reich der Großen Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Clement
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hatte. Dem Dämonenjäger wurde klar, wie merkwürdig sie auf die beiden Einheimischen wirken mussten.
    Er, Zamorra, trug immer noch den eleganten, wenn auch etwas mitgenommenen Anzug im Stil des 19. Jahrhunderts, in dem er von der Ochrana verhaftet worden war. Oleg hingegen hatte zerlumpte, zerrissene Kleidung am Leib. Aber keiner der beiden war von dem Feuer auch nur angesengt worden!
    »Ja, wir konnten den Flammen entkommen«, erwiderte Zamorra. Während er sprach, beobachtete er die beiden Tungusen ganz genau.
    Die Männer legten wie auf Kommando ihre altertümlichen Flinten beiseite. Dann warfen sie sich vor Zamorra und Oleg auf den steinigen Uferboden und berührten mit ihren Stirnen die Steine.
    »Was soll das?«, stieß Oleg hervor.
    »Wir bezeugen euch unsere Verehrung, o junger Feuermann! Wir haben gesehen, wie ihr mitten aus der großen Flammenwand gestiegen seid, unversehrt und heil. Das riesige Feuer ist vom Himmel gefallen, wie es uns prophezeit wurde. Das ist die Strafe der Götter für unser Volk. Doch eine alte Weissagung kündigt uns auch Hilfe an. Hilfe durch euch, die Feuermänner! Männer, denen die Kraft des Feuers nichts ausmacht.«
    »Strafe der Götter?«, wiederholte Oleg angewidert. »Also, Genossen, es gibt überhaupt keine… au!«
    Der junge Anarchist unterbrach sich selbst, denn Zamorra hatte ihm vor das Schienbein getreten. Der Dämonenjäger wusste, dass sein ehemaliger Mitgefangener einst studiert hatte und wohl zumindest Französisch sprach. Darum wandte er sich jetzt in dieser Sprache an ihn, um von den Tungusen nicht verstanden zu werden.
    »Bist du bekloppt, Oleg? Du kannst denen doch nicht erzählen, dass es keine Götter gibt!«
    »Aber es ist die Wahrheit!«, beharrte der Anarchist starrköpfig. »Götter sind nur Erfindungen der Popen und der Kapitalisten und des Zaren, um das einfache Volk…«
    »Leg mal ‘ne andere Platte auf!«, zischte Zamorra. »Wir sind hier mitten in der Einöde, ohne Waffen, ohne Vorräte und sogar ohne Kompass! Wir brauchen Hilfe, und die können wir nur von diesen Tungusen kriegen. Lass ihnen doch ihren traditionellen Glauben, verflixt nochmal. Wir können hier nichts erreichen, wenn du sie vor den Kopf stößt.«
    »Dann sage ich eben überhaupt nichts mehr!«, brummte Oleg beleidigt.
    Die beste Idee, die du seit langem hattest, dachte Zamorra. Dann wandte er sich wieder auf Russisch an die Tungusen. Diese hatten während des französischsprachigen Dialogs ehrerbietig geschwiegen. Vermutlich glaubten sie, dass die »Feuermänner« in einer Art Göttersprache miteinander redeten.
    »Wir würden eure Sippe gerne besuchen.«
    »Es ist uns eine große Ehre«, erwiderte der ältere Tunguse. »Wir hatten schon gehofft, dass ihr zu uns kommen würdet, um den Zorn der Götter von uns abzuwenden.«
    Oleg schnaubte verächtlich durch die Nase, aber wenigstens verbiss er sich jeden anderen Kommentar.
    »Die Ehre ist ganz auf unserer Seite. Aber nun steht bitte auf. Wir werden euch zu eurer Sippe folgen.«
    Die beiden Tungusen erhoben sich.
    »Lieber im Stehen sterben als auf Knien leben«, murmelte Oleg.
    »Wolltest du nicht den Mund halten?«, fragte Zamorra.
    Der junge Anarchist rammte seine Fäuste in die Hosentaschen. Mit gesenktem Kopf, wie ein trotziges Kind, lief er neben Zamorra her. Die beiden Ex-Gefangenen folgten den Einheimischen durch die Furt. Am anderen Ufer der Tunguska, wo das Feuer nicht gewütet hatte, marschierten sie durch die Tundra in Richtung Süden.
    Vier oder fünf Kilometer lang hielt Oleg das Schweigen aus, bevor er wieder den Mund öffnete. Er sprach Französisch, wie Zamorra es zuvor getan hatte.
    »Zamorra?«
    »Ja?«
    »Du hast vorhin gesagt, du seist ein Reisender. Aber das reicht mir nicht. Da steckt doch mehr dahinter. Ich habe das Gefühl, dieser Feuerball am Himmel hängt mit deiner Anwesenheit zusammen. Nein, anders herum. Du bist wegen dieses Feuerballs hierher gekommen. So denke ich.«
    Zamorra sinnierte einen Moment lang. Oleg würde wohl kaum Ruhe geben, bevor er keine ausführliche Antwort bekommen hatte. Der Professor wollte sich keine Lügengeschichte ausdenken. Er beschloss, dem jungen Anarchisten die Wahrheit zu sagen. Die war ohnehin so fantastisch, dass Oleg ihm sowieso nicht glauben würde…
    »Also gut, Oleg. Du hast ein Recht auf die Wahrheit. Schließlich sind wir Gefährten, wenn auch unfreiwillig. Also, ich wusste, dass es am 30. Juni 1908 frühmorgens an der Tunguska zu dieser Katastrophe

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