0757 - Das Reich der Großen Schlange
sich Oleg bei dem nicht so sicher, ob es ihn wirklich gab. Außerdem missfiel dem Anarchisten die rote Farbe des Mantels. Sie erinnerte ihn immer so an die lästige revolutionäre Konkurrenz, an Lenin und dessen Bolschewisten…
»Wir sind wieder zu Hause!«, jubelte Lena.
»Ich frage mich, warum die Große Schlange uns überhaupt in ihr Reich geholt hat«, dachte Nicole laut nach.
»Hat sie das wirklich getan?«, fragte Merlin.
Nicole und Zamorra schauten sich gegenseitig an. Sie würden einander berichten müssen, wie sie jeweils in die Dimension des außerirdischen Dämons gelangt waren.
»Was führt die Große Schlange im Schilde?«, fragte Zamorra Merlin. Und eigentlich wunderte er sich nicht darüber, dass er keine vernünftige Antwort bekam.
»Wer kann das sagen? Und wer kann sagen, wie du in deine Zeit zurückgelangst, Zamorra? Du hast dir den Zeitring stehlen lassen. Ich habe euch aus dem Reich der Großen Schlange geholfen, aber nun habe ich keine Lust mehr. Ihr müsst schon sehen, wie ihr selbst ins Jahr 2003 zurückkehrt. Wir sehen uns wieder!«
Mit diesen Worten verschwand Merlin dann spurlos.
Zamorra seufzte genervt.
»Warum muss er uns immer behandeln wie kleine Kinder? So, als ob wir den Zeitring beim Spielen verbummelt hätten.«
Nicole legte die Arme zärtlich um Zamorras Hals. »Jetzt mal im Emst: Was ist mit dem Ring geschehen, Cheri?«
»Ach, die Geheimpolizei hat ihn mir abgenommen, die Ochrana. Weil sie mich für einen Anarchisten gehalten haben, so wie Freund Oleg.«
Er deutete auf den zerlumpten jungen Mann.
Lena bedachte Oleg mit einem interessierten Blick. »Du bist Anarchist?«
»Jawohl!« Stolz richtete sich der Revolutionär auf.
»Ihr tretet doch für eine Welt ohne Machtmissbrauch und Unterdrückung ein, nicht wahr?« Lena musste an ihren Mann denken, der sie bis aufs Blut gequält hatte, nur um seine Macht zu zeigen.
»Wir sind nicht nur gegen Machtmissbrauch«, sagt Oleg eifrig. »Wir haben etwas gegen Macht an sich. Keine Macht für niemand! Wir…«
»Das musst du mir alles mal unter vier Augen erklären«, sagte Lena und hakte sich wie selbstverständlich bei ihm ein.
Olegs Kopf wurde so rot wie die Fahnen der von ihm so gering geschätzten Bolschewisten. Zamorra und Nicole wandten sich schmunzelnd ab.
»Wir kommen schon in unsere Zeit zurück«, sagte die Französin. »Ich kenne da jemanden, der uns gewiss helfen wird…«
Und so war es auch.
Nachdem Nicole ihn beschworen hatte, erschien Bil, der Stammesgott der Tungusen, prompt über den Baumwipfeln. Es war für den Bärenköpfigen natürlich ein Leichtes, Zamorras Zeitring aus dem Tresor der Geheimpolizei in Krasnojarsk fortzuzaubern.
»Vielen Dank, großer Bil!«, rief Nicole, als der Gott den Zeitring in ihren Schoß fallen ließ.
»Ich tue, was ich kann.« Der Bärenköpfige machte einen melancholischen Eindruck. »Ich wünschte, ich hätte diese Katastrophe verhindern können.«
Bil deutete auf den Horizont. Der Wald brannte, so weit das Auge reichte. Und er würde es auch noch sehr, sehr lange tun.
»Du hast gewiss dein Bestes gegeben«, sagte Zamorra. »Aber wenn es dich tröstet: Es hätte auch noch viel schlimmer kommen können.«
Der Dämonenjäger hatte das Gefühl, dass nun der richtige Augenblick für eine Abreise ohne großen Abschied gekommen wäre. Sie mussten ja in Paris, in den Gassen hinter dem Gare du Nord, ins Jahr 2003 zurückkehren. Denn genau von dort waren sie zu diesem Abenteuer gestartet.
Nicole spürte, was Zamorra vorhatte.
»Bil«, fragte sie unschuldig, »könntest du uns vielleicht durch die Luft zur nächsten Eisenbahnstation tragen? Meine Schuhe drücken ganz schrecklich!«
»So sei es«, sagte der gutmütige Stammesgott. Gleich darauf hob er Zamorra und Nicole hoch und flog mit ihnen davon.
Oleg blickte auf. Er war so damit beschäftigt gewesen, Lena anzusehen, dass er die Abreise der beiden Franzosen kaum mitbekommen hatte.
Der junge Russe zuckte mit den Schultern. Er hätte Zamorra doch gerne noch gefragt, was es mit Hiroshima auf sich hatte. Der geheimnisvolle Professor hatte da so düstere Andeutungen gemacht.
Aber gleichzeitig war Oleg sich unsicher darüber, ob er das wirklich wissen wollte…
ENDE des Zweiteilers
[1] Maschine zur Teezubereitung
[2] Siehe Professor Zamorra Nr. 756 »Tod über der Tunguska«
[3] Die »russische Meile«: 1 Werst = 1,067 km
[4] Kosaken-Anführer
[5] Russische Goldmünze
[6] Michail Bakunin, 1814-1876, russischer
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