0767 - Zeit der Wachsleichen
zeigte Besorgnis. Dann bückte sie sich und zog ihren Sohn hoch, der sich gekrümmt hatte und die Hände vor den Bauch gepreßt hielt.
»Es ist so schlimm, Mum, so verdammt schlimm.« Er holte keuchend Luft und würgte sie dann wieder aus. »Ich leide mit ihnen. Ich… ich… habe sie verloren.«
Eartha hielt ihn fest und schaute auf den gekrümmten Rücken. »Wen hast du verloren?«
»Meine Freunde.«
»Die Toten…?«
»Ja!« würgte er, »die habe ich verloren. Die Toten sind… sie werden nicht mehr kommen. Man hat sie vernichtet. Ich… ich habe ihr Leiden gespürt, ihre Qual…«
Eartha schloß die Augen und ließ ihren Sohn reden. Sie dachte an den Schuß. Hatte er für die endgültige Vernichtung der lebenden Leichen gesorgt? Aber sie waren Zombies, und aus ihrer eigenen Erfahrung wußte Eartha, daß die nicht durch eine Kugel umgebracht werden konnten. Sie würden sich immer wieder erheben… es sei denn, man schoß ihnen direkt in den Schädel. Oder man nahm ein Schwert und hackte ihnen den Kopf ab. Dann hatten sie keine Chance mehr.
Unter Qualen richtete sich ihr Sohn wieder auf. Er klammerte sich an seiner Mutter fest, und diese litt mit. Alles konnte sie verkraften, nur wenn ihrem Sohn etwas geschah, drehte sie beinahe durch.
Er zitterte, als würde er frieren. Es war eine Kälte, die von innen kam. Er hatte erleben müssen, wie sein Freund oder seine Freunde starben. Er war zudem in der Nähe gewesen und hatte trotzdem nichts dagegen unternehmen können. So etwas war furchtbar und konnte für das gesamte Leben entscheidend sein.
»Beruhige dich!« flüsterte sie ihm zu. »Du mußt jetzt stark sein. Wir haben noch nicht verloren. Es gibt noch einen. Der Starken, verstehst du?«
Tränen waren über Marios Gesicht gelaufen. Mit beiden Händen wischte er sie fort. Die Flächen zog er von der Stirn her an seinen Wangen entlang und hörte, wie seine Mutter fragte, ob es ihm wieder besserging.
»Ich habe es überwunden.«
»Gut.«
»Wir müssen aber den anderen suchen.«
Die Frau nickte. »Keine Sorge, Mario, das werden wir auch. Du brauchst keine Angst zu haben. Wir werden ihn suchen und auch finden, das kann ich dir versprechen.«
»Wo kann er denn sein?«
Der Junge bekam keine Antwort, weil Eartha einige Schritte vorgegangen war. Als sie stehenblieb, drehte sie ihm den Kopf zu. Anspannung lag auf ihrem Gesicht. »Bleib zurück«, flüsterte sie, als sich Mario in Bewegung setzen wollte. »Bleib um Himmels willen da. Dort… dort ist jemand. Da kommt…«
Mario sagte nichts. Er hatte gesehen, wohin sich seine Mutter orientiert hatte. Auch er schaute in diese Richtung, und plötzlich glaubte er, innerlich zu erfrieren. Hinter seiner Stirn spürte er einen harten Druck, denn auf dem Friedhof, praktisch zwischen den Gräbern, hoben sich zwei Gestalten von der dunklen Fläche ab. Sie waren ebenfalls düster. Das Mondlicht ließ sie wie bleiche Puppen aussehen. Wenn es verschwand, wurden sie zu finsteren Scherenschnitten.
Ein Mann und eine Frau.
Die Frau interessierte den Jungen nicht besonders. Den Mann aber kannte er. Ja, er kannte ihn, und er haßte ihn gleichzeitig. Er spürte es wie eine Welle, die ihn überschwemmte. Sie jagte durch seinen Körper, sie machte ihn regelrecht sprachlos, er mußte schlucken, und es dauerte, bis er einen Kommentar abgeben konnte.
Eartha stand neben ihrem Sohn. Auch sie hatte mittlerweile erkannt, wer sich da über den Friedhof bewegte, aber nur Mario sprach es aus. In seiner Stimme schwang der Haß mit.
»Es ist der Blonde aus dem Hotel! Verdammt noch mal. Er ist es, er ist es!«
»Ruhig, Mario!«
»Nein, nein, nein!« Der Junge schüttelte den Kopf. »Dieser Mann ist gefährlich. Er hat meine Freunde getötet. Deshalb will ich ihn auch töten. Ich muß ihn vernichten…«
»Aber nicht jetzt!«
Eartha befürchtete, daß ihr Sohn durchdrehen würde, deshalb hielt sie ihn fest. Er zitterte unter ihrem Griff, sie ließ nicht locker. »Deine Chance kommt noch«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Unsere Chance wird kommen, auch die des Zombies. Darauf kannst du dich verlassen…«
Mario blieb ruhig.
Seine Mutter atmete auf. Sie verfolgte den Weg der beiden Personen. Er führte sie auf die Kirche zu, die sie umrundeten, und wenig später hörten sie in der Stille das Quietschen einer Tür.
Da wußte sie, wo sich die beiden aufhielten.
Im nächsten Moment blitzte, und dann krachte es. Ein dröhnender Donner, der alles erzittern ließ.
Das Gewitter hatte sich ein
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