Ketzer
Prolog
Kloster San Domenico Maggiore
Neapel
1576
Die Tür wurde mit einem Knall aufgestoßen, der im Gang widerhallte, und die Bodendielen erzitterten unter dem entschlossenen Stampfen mehrerer Fußpaare. In dem winzigen Abort, in dem ich auf einem Brett kauerte – so weit wie möglich von dem Loch entfernt, unter dem sich die Senkgrube befand – begann meine kleine Kerze in dem plötzlichen Luftzug zu flackern und ließ wabernde Schatten über die steinernen Wände tanzen. Allora , dachte ich, bevor ich den Kopf hob. Jetzt kamen sie mich also doch holen.
Die Schritte machten vor der Tür Halt. Im nächsten Moment hämmerte jemand wütend mit der Faust gegen das Holz, und die heisere Stimme des Abtes ertönte. Sein üblicher ruhiger, diplomatischer Tonfall war einem erregten Krächzen gewichen.
»Bruder Giordano! Ich befehle Euch, unverzüglich herauszukommen, und haltet das, was Ihr in den Händen habt, gut sichtbar vor Euch!«
Ich hörte einen der Mönche in seiner Begleitung leise kichern, gefolgt von einem missbilligenden Zungenschnalzen seitens unseres Abtes, Padre Domenico Vita, und musste trotz meiner misslichen Lage innerlich grinsen. Fra Vita war ein Mann, der unter normalen Umständen wirkte, als empfände er sämtliche
menschlichen Körperfunktionen als persönliche Beleidigung. Es musste ihn beispiellose Überwindung kosten, einen seiner Mönche an einem derart unziemlichen Ort zur Rede zu stellen.
»Einen Moment bitte, Padre!«, erwiderte ich, dabei löste ich die Kordel an der Kutte, damit es so aussähe, als hätte ich den Abtritt wirklich zu seinem eigentlichen Zweck benutzt. Dann betrachtete ich das Buch in meiner Hand. Flüchtig erwog ich, es irgendwo unter meiner Kutte zu verstecken, sah dann aber ein, dass das nichts bringen würde – man würde mich gründlich durchsuchen, sowie ich den Abtritt verlassen hätte.
»Keinen Moment mehr, Bruder«, zischte der Abt durch die geschlossene Tür. Eine unterschwellige Drohung schlich sich in seine Stimme. »Ihr habt heute Abend mehr als zwei Stunden auf dem Abtritt verbracht. Ich denke, das reicht!«
»Ich muss etwas Verdorbenes gegessen haben, Padre«, bekundete ich, bevor ich das Buch voller Bedauern in das Loch warf und dabei laut hustete, um das Platschen zu übertönen, mit dem es in die Grube fiel. Zu schade, es war eine besonders schöne Ausgabe gewesen.
Dann schob ich den Riegel zurück, öffnete die Tür und sah mich meinem Abt gegenüber. Seine unerbittlichen Gesichtszüge vibrierten fast vor aufgestautem Zorn, was noch durch den flackernden Schein der Fackeln unterstrichen wurde, die die vier hinter ihm stehenden und mich angewidert und fasziniert zugleich anstarrenden Mönche in die Höhe hielten.
»Rührt Euch nicht von der Stelle, Bruder Giordano«, wies mich Vita an, dabei drohte er mir warnend mit dem Finger. »Für einen Fluchtversuch ist es zu spät.«
Er stapfte in den Verschlag, rümpfte ob des Gestanks voller Ekel die Nase und leuchtete dann mit seiner Laterne in jede einzelne Ecke. Als er nichts Verdächtiges fand, wandte er sich an die Männer hinter ihm.
»Durchsucht ihn!«, bellte er.
Die Ordensbrüder wechselten verwirrte Blicke, dann trat der verschlagene Toskaner Bruder Agostino da Montalcino mit
einem unangenehmen Lächeln vor. Er hatte mich noch nie gemocht, aber seine Abneigung war in offene Feindseligkeit umgeschlagen, nachdem ich ihn vor einigen Monaten in einem Streitgespräch über die arianische Ketzerei ausgestochen hatte. Danach hatte er das Gerücht verbreitet, ich würde die Göttlichkeit Christi leugnen. Ohne Zweifel hatte er mir den Abt auf den Hals gehetzt.
»Verzeih mir, Bruder Giordano«, murmelte er höhnisch, bevor er mich abzutasten begann. Seine Hände glitten erst über meine Taille und anschließend an meinen Schenkeln hinunter.
»Versuch bitte, nicht allzu viel Vergnügen daran zu finden«, knurrte ich.
»Ich befolge nur die Befehle meines Superiors«, versetzte er. Nachdem er mit der Durchsuchung fertig war, richtete er sich auf und sah Padre Vita sichtlich enttäuscht an. »In seiner Kutte hat er nichts versteckt, Padre.«
Abt Vita trat einen Schritt auf mich zu und funkelte mich einen Moment lang wortlos an. Sein Gesicht war dem meinen so nah, dass ich die borstigen Haare auf seiner Nase zählen und den schalen Zwiebelgestank seines Atems riechen konnte.
»Die Sünde unseres Urvaters bestand in seinem Wunsch, sich verbotenes Wissen anzueignen.« Er betonte jedes Wort
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