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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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    In Fraglund wurde vorzeiten ein Knabe geboren, von dessen merkwürdigem Schicksal hier erzählt werden soll. Sein Vater war ein gewaltiger Mann, den man den Großen Brüller nannte. Er war hochgewachsen, fülligen Leibes und trug seine dichtbehaarte Brust gern offen. Obwohl er ein ungestümes Gemüt besaß, bald aufbrausend in polterndem Zorn, bald geschüttelt von dröhnendem Gelächter, galt er doch als gerecht, und deshalb hatten ihn die Leute von Fraglund von weither als Richter über die Bewohner ihres Gebietes berufen.
    Als der Große Brüller nach Fraglund gekommen war, um sein Amt anzutreten, hatte er eine stille Frau mitgebracht, die so wenig in Erscheinung trat, daß manche Leute sie zunächst gar nicht für sein Eheweib gehalten hatten. Es hieß, sie sei die Tochter des Sanften Flöters, von dessen Künsten man auch schon in Fraglund gehört hatte, obgleich er weit entfernt hinter den tiefen Wäldern von Barleboog lebte. Man sagte von ihm, sein Flöten sei so süß, daß sogar die Vögel verstummten um zuzuhören, und es besänftigte die Menschen dermaßen, daß schon mancher Streit allein durch diese Töne geschlichtet worden sei.
    Nachdem der Große Brüller ein Jahr lang in Fraglund Recht gesprochen hatte, gebar ihm seine Frau eben diesen Sohn, von dem hier die Rede sein soll. Sie hatte die ganze Nacht in den Wehen gelegen, und erst gegen Morgen wurde ihr Mann zu ihrer Kammer gerufen, wo ihm die Hebamme das Kind, nackt wie es war, entgegenhielt.
    »Man kann wohl sehen, daß dies dein Sohn ist«, sagte sie; denn das Kind war am ganzen Körper mit einem pelzigen Flaum überzogen.
    »So«, sagte der Große Brüller mit seiner dröhnenden Stimme und nahm den Sohn auf seine Arme. »Sieht man das? Und warum brüllt er nicht?«
    »Merkwürdig«, sagte die Hebamme, »mir hat die ganze Zeit über etwas gefehlt. Jetzt weiß ich’s, da du es sagst: Er brüllt nicht. Sieh ihn doch an. Er schaut aus, als ob er lauscht.«
    »Ein Kind muß brüllen«, sagte der Vater befremdet.
    »Laß ihn doch«, sagte die Hebamme. »Wer brüllt, hört nicht gut. Laß ihn nur lauschen.«
    »So soll er Lauscher heißen«, sagte der Große Brüller und gab den Sohn der Hebamme zurück. Er schien etwas enttäuscht über diesen Sohn, der haarig war wie sein Vater, aber nicht brüllen wollte, wie es dessen Art war.
    »Ein stilles Kind hast du geboren«, sagte der Große Brüller zu seiner Frau, nachdem er ihr für diesen Sohn gedankt hatte.
    »Er gerät wohl nach meinem Vater«, sagte sie.
    Da der Große Brüller jedoch ein gerechter Mann war, redete er in den folgenden Jahren stets freundlich zu diesem Sohn und dämpfte dabei mit der Zeit sogar seine gewaltige Stimme; denn es stellte sich heraus, daß Lauscher nur leise gesprochene Worte verstand, während Gebrüll ihn verwirrte. Das zeigte sich in besonderer Weise, wenn er Zeuge von Streitigkeiten wurde, was im Hause seines Vaters, der ja das Richteramt versah, nicht eben selten vorkam. Je lauter die Streitenden ihre Stimmen erhoben, desto ratloser blickte Lauscher sie an, um schließlich entsetzt davonzulaufen, wenn sie anfingen, einander zu überschreien. Er hielt damals seinen Vater wohl für einen mächtigen Zauberer, weil es ihm gelang, das Keifen der Streitenden mit seiner Donnerstimme zu überbrüllen und damit zugleich verstummen zu lassen.
    So wuchs Lauscher im Hause seines Vaters heran, ohne daß etwas Erwähnenswertes geschah. Als er jedoch 17 Jahre alt war, kamen vom Osten die Beutereiter über das Land und fingen an zu heeren und zu brennen. Der Große Brüller sammelte die waffenfähigen Leute von Fraglund, um sich den Eindringlingen entgegenzustellen. An diesem Tage führte er Lauscher in seine Waffenkammer und forderte ihn auf, sich ein Schwert auszuwählen.
    »Ich will kein Schwert«, sagte Lauscher mit seiner leisen Stimme.
    »Willst du zu Hause bleiben bei den zahnlosen Greisen und den Weibern?« fragte der Große Brüller und konnte seine Abscheu vor solcher Feigheit nicht verbergen.
    »Nein«, sagte Lauscher. »Ich werde mit euch ziehen. Aber es ist nicht meine Art, Wunden zu schlagen. Erlaube mir, daß ich die Verwundeten versorge.«
    Der Große Brüller fand zwar, dies sei ein erbärmliches Vorhaben für einen jungen Mann, aber da Lauscher auf keine Art zu bewegen war, eine Waffe in die Hand zu nehmen, ließ er ihn schließlich gewähren.
    So zog Lauscher mit den Männern von Fraglund gegen die Beutereiter. Nach drei Tagesmärschen meldeten Späher einen

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