Engel im Schacht
Stromausfall
Als der Strom ausfiel, beendete ich gerade einen zehnseitigen Bericht. Es wurde dunkel in meinem Büro; der Computer gab ächzend seinen Geist auf. Hilflos mußte ich mit ansehen, wie aus meinem Text Schemen wurden, die noch kurz auf dem Bildschirm schimmerten, bevor sie verschwanden wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland. Ich verfluchte mich selbst und die Hauseigentümer. Wenn ich der alten Olivetti meiner Mutter die Treue gehalten hätte, statt mich zu computerisieren, hätte ich meine Arbeit bei Kerzenlicht fertigstellen und nach Hause gehen können. Und wenn die Brüder Culpepper das Pulteney-Gebäude nicht so hätten verkommen lassen, wäre der Strom nicht ausgefallen.
Ich hatte mein Büro seit zehn Jahren in dem Haus, also schon so lange, daß mir seine zahllosen Mängel nicht mehr auffielen. Jahrzehntealter Ruß verdeckte die Basreliefs auf den Messingtüren und füllte die ausgeschlagenen Ecken des Marmorbodens im Foyer; in den Friesen der oberen Stockwerke fehlten große Gipsstücke; drei Damentoiletten, die öfter verstopft waren als funktionierten, mußten für das ganze Gebäude genügen. Und die Innenverkleidung des Aufzugs konnte ich im Traum nachzeichnen, so oft war ich schon steckengeblieben.
Lediglich die niedrige Miete im Pulteney machte diese Zustände erträglich. Eigentlich hätte ich schon längst merken müssen, daß die Culpeppers nur warteten, bis die Loop Sanierung auch unseren südlichen Stadtteil erfaßte, und das Gebäude kaputt mehr wert war als intakt. Unser allherbstliches Feilschen, aus dem ich triumphierend ohne Mieterhöhung hervorging und das die Brüder ohne die Verpflichtung, neue Rohre oder Leitungen zu verlegen, hinter sich brachten, hätte eine Detektivin wie mich, die sich auf Betrügereien, Brandstiftung und Wirtschaftsverbrechen spezialisiert hatte, hellhörig werden lassen müssen. Doch wie bei vielen meiner Klienten war auch für mich die Sorge darüber, daß Geld in die Kasse floß, größer als der Drang, die Zusammenhänge zu erforschen.
Das Gebäude stand bereits zu einem Drittel leer, als die Culpeppers zum neuen Jahr die Kündigung aussprachen. Sie versuchten uns restliche Mieter zuerst zu bestechen, dann mit Gewalt zum Verlassen des Hauses zu bewegen. Manche taten ihnen den Gefallen, aber Leute, die sich im Pulteney einmieteten, konnten sich nicht so ohne weiteres Räume anderswo leisten. Es waren harte Zeiten, und die, die sich früher gerade noch am Rand der Gesellschaft gehalten hatten, landeten jetzt schon auf der Straße. Als allein agierende Privatdetektivin machte mir die gegenwärtige Situation genauso zu schaffen wie allen anderen. Zusammen mit einem Hutmacher, einem Händler für orientalische Gesundheits- und Schönheitsmittelchen, einem Mann, der sein Geld wahrscheinlich als Buchmacher verdiente, einer Adressenhandelsfirma und noch ein paar anderen saß ich es bis zum bitteren Ende aus.
Ich nahm also meine Taschenlampe und bewegte mich ziemlich schnell, da geübt, durch den dunklen Flur zur Treppe. Der Bericht, an dem ich gerade gearbeitet hatte, mußte um acht Uhr am nächsten Morgen bei Darraugh Graham sein. Wenn ich das schadhafte Kabel oder die durchgebrannte Sicherung schnell genug fand, konnte ich die fehlenden Daten aus meinem Computer abfragen und so die wesentlichen Informationen rekonstruieren. Wenn nicht, mußte ich mit der Olivetti noch einmal von vorn anfangen.
Ich sperrte die Tür zum Treppenhaus auf, verschloß sie aber nicht wieder, damit ich problemlos zurückkonnte. Nachdem Tom Czarnik gekündigt hatte, hatte ich an den Türen Schlösser angebracht, die sich alle mit demselben Schlüssel öffnen ließen. Czarnik, der Hausmeister - der angebliche Hausmeister -, hatte in den letzten beiden Jahren nichts anderes getan, als die Mieter zu nerven, so daß sein Weggang kein großer Verlust war. Erst vor kurzem war mir aufgegangen, daß die Culpeppers ihn wahrscheinlich dafür bezahlt hatten, den Verfall des Pulteney Building zu beschleunigen. Die Brüder taten jedenfalls alles, um unser kleines Häuflein von Aufrechten noch vor dem Kündigungstermin loszuwerden. Sie gaben nicht einmal mehr vor, irgend etwas für die Wartung des Hauses zu tun. Als erstes hatten sie versucht, die Energieversorgung zu kappen; eine gerichtliche Verfügung sicherte uns wenigstens Elektrizität und Wasser. Jetzt standen ihre Nachlässigkeit und ihre Sabotageversuche unserer Gewitztheit gegenüber - oder besser gesagt, meiner. Zwar hatten
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