0770 - Kind der Finsternis
konnte nur noch ein Spezial-Zauber der Inspektorin helfen. Sie drehte eine Art Pirouette, wobei sie die Gebetsmühle am ausgestreckten Arm hielt.
Gleichzeitig rief sie gellend den Namen der indischen Kriegsgöttin. »Durgaaaaaii!«
Die Wirkung war überwältigend. Plötzlich, aus dem Nichts, erschienen wieder die Shakinis, die Dienerdämoninnen der mächtigen Göttin. Eine ganze Schar von ihnen zerschlug und zermalmte die steinernen Klauen.
Asha Devi selbst brauchte überhaupt nichts zu tun. Gleich darauf lichtete sich der Steinstaub. Die dienstbaren Helferinnen von Durga verschwanden wieder in der Dimension, aus der sie gekommen waren.
Obwohl es keine Wände mehr gab, stürzte der Gang nicht ein.
Er hatte sich in eine größere Stein-Galerie verwandelt.
Nun kamen auch die Polizisten angehetzt.
»Wo waren Sie, Madam? Sie waren plötzlich wie vom Erdboden verschluckt! Wir haben alles abgesucht…«
»Wie edel von euch!«, blaffte Asha Devi. »Ihr hattet aber einen Befehl, kapiert? Und der lautete nicht, nach mir zu suchen! Wir sind wegen der Kinder hier! Wenn die Dämonen jetzt eine Verschnaufpause bekommen haben, um die Kleinen tiefer in die Hölle zu schleifen, dann werde ich…«
Ein leises Wimmern unterbrach die Schimpfkanonade der Inspektorin. Asha Devi hielt augenblicklich die Klappe. Genau wie ihre Leute lauschte sie atemlos, woher das Jammern kam.
Die Inspektorin erblickte eine kleine Pforte. Sie war so gebaut, dass sie sich von dem sie umgebenden Mauerwerk kaum unterschied. Aber Asha Devi hatte sie wahrgenommen.
Sie rannte in die Richtung der Pforte. Das Türchen hatte keinen Riegel, keine Klinke und keinen Griff. Vermutlich war es schwarzmagisch verschlossen.
Asha Devi drehte ihre Gebetsmühle, richtete sie auf den Eingang. Es gab einen leisen Knall, als sich das Türchen in stinkenden schwarzen Qualm verwandelte.
Helle Stimmen schrien sich im Chor ihre Angst von der Seele.
Asha Devi bückte sich und drängte sich durch die enge Pforte. Es war stockdunkel in dem Verlies. Die Inspektorin schaltete ihre Taschenlampe ein.
Im Schein des Lichtkegels erblickte sie zwei Dutzend Kinder, zwischen drei und neun Jahren alt. Sie alle waren schmutzig, verängstigt und sahen hungrig aus. Aber sie lebten!
»Keine Angst, Kinder!«, rief Asha und ging in die Knie. »Wir sind von der Polizei! Wir holen euch hier raus!«
Ein kleines Mädchen kam auf sie zugelaufen und schlang schluchzend seine dünnen schmutzigen Ärmchen um Ashas Hals. Die Inspektorin drückte das zitternde Kind sanft an sich.
»Es wird alles gut«, murmelte sie.
Plötzlich wurde ihr wieder einmal klar, dass sie selbst ein Kind hatte. Ein Kind, dem Anspruch auf Geborgenheit und Schutz durch sie, Asha Devi, zustand. Aber bevor sie ihrem Kind solche Dinge geben konnte, musste sie es zunächst überhaupt finden. Falls es noch lebte…
Asha Devi strich mit ihrer freien linken Hand über das Köpfchen des befreiten Kindes. Sie wusste nicht so recht, wie man mütterliche Liebe gab, die sie selbst nie erfahren hatte.
Ihre eigene Mutter nahm immer eine Beruhigungstablette, wenn Gefühle ins Spiel kamen.
Der Gedanke an ihre Eltern ließ Asha Devis Laune endgültig auf den Nullpunkt sinken.
»Schafft die Kinder hier raus!«, keifte sie ihre Untergebenen an. »Bewegt euch, oder ihr werdet es bereuen!«
***
Cliffords Villa, Rochester Row, London, England
Nicole Duval legte nachdenklich den rechten Zeigefinger an ihre Lippen.
»Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal in eine Standuhr gekrochen bin.«
Professor Zamorras Lebens- und Kampfgefährtin sowie Sekretärin kniete inmitten eines fast leeren Raums. Nur sie selbst und Zamorra befanden sich darin. Außerdem natürlich die Standuhr, in die Nicole offenbar hineinkrabbeln wollte. Sie hatte die Gehäusetür bereits geöffnet.
Die Französin war wie immer stilvoll und modern angezogen.
Sie trug einen taillierten rauchblauen Blazer mit dazu passender ausgestellter Hose mit Bügelfalten. Ihre Bluse war das Produkt eines japanischen Top-Designers. Erst am Vortag hatte Nicole das gute Stück bei einer Shopping Tour auf der Regent Street ergattern können.
Zamorra hatte sich ebenfalls in Schale geworfen. Er trug einen konservativen Geschäftsanzug, obwohl er sich in Jeans eigentlich wohler fühlte. Überhaupt wirkte der schlanke und durchtrainierte Dämonenjäger eher wie ein James-Bond-Darsteller und nicht wie ein akademischer Würdenträger.
Aber Zamorra und Nicole erfüllten soeben einen
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