0770 - Kind der Finsternis
offenbar auch nicht.«
»Wenn wir erfahren wollen, ob die Uhr eine Schleuse zu einer anderen Dimension ist, werden wir es wirklich am besten ausprobieren«, sagte Zamorra. Doch in diesem Moment veränderte sich die Atmosphäre im Zimmer. Es wurde wärmer und wärmer. Dabei war der Raum überhaupt nicht zu beheizen, außer durch einen kleinen Kamin. Aber der hatte sich natürlich nicht plötzlich und ohne ersichtlichen Grund selbst angezündet.
Einmal ganz davon abgesehen, dass kein Feuerholz bereitlag.
Zamorra und Nicole verstanden ohnehin, dass die Klimaänderung einen magischen Ursprung haben musste.
Denn plötzlich erklang auch noch eine seltsame, schwermütige Melodie. Und diese Musik stammte offenbar nicht aus einem Radio oder einer Stereoanlage im Nebenzimmer. Sie drang unmittelbar in das Bewusstsein von Zamorra und Nicole ein.
Die beiden Dämonenjäger schauten einander in die Augen. In ähnlicher Weise hatte sich ihnen schon einmal eine bekannte Entität angekündigt.
Und so war es auch diesmal. In einer Zimmerecke manifestierte sich nun das dreidimensionale Abbild eines überirdischen Wesens.
Shiva, der indische Mondgott der Berge!
Er erschien in der Inkarnation, in der Zamorra ihn bereits kennen gelernt hatte. [3] Shiva zeigte sich als ein dürrer Greis mit einem Turban auf dem Kopf. Doch es war eindeutig, dass es kein Mensch aus Fleisch und Blut war, der nun mit untergeschlagenen Beinen dort in der Zimmerecke kauerte.
Der Gott zeigte nur ein Abbild seiner selbst, durch das er Zwiesprache mit den beiden Dämonenjägern halten konnte.
»Sei gegrüßt, o Shiva«, sagte Zamorra und verneigte sich leicht. Auch Nicole bezeugte dem Gott ihren Respekt. »Was führt dich zu uns? Ist Asha Devi wieder in Schwierigkeiten?«
Ein schmales Lächeln erschien auf dem Gesicht des illusionären Greisenkörpers.
»Nicht direkt, Zamorra.« Shiva wurde sogleich wieder ernst.
»Es geht um ein Lebewesen, das unmittelbar mit dir selbst verknüpft ist. Und dieses Lebewesen nimmt gleichzeitig eine Schlüsselstellung ein, was den Fortbestand von Indien anbelangt.«
Unwillkürlich schaute Zamorra seine Lebens- und Kampfgefährtin an. Er konnte sich momentan keinen Menschen vorstellen, mit dem er, Zamorra, stärker verbunden war als mit Nicole Duval. Ein unsichtbares und unzerreißbares Band existierte zwischen den beiden Dämonenjägern.
Aber Zamorra hatte Shivas Worten genau zugehört. Der Gott hatte nicht von einem Menschen, sondern von einem Lebewesen gesprochen. Wenn Nicole gemeint war, konnte er auch gleich von einem Menschen reden. Aber wer war dann gemeint? Fooly, der zweifellos kein Mensch, aber ein Lebewesen war?
Nach einer kurzen Pause öffnete die Inkarnation wieder ihre schmalen Lippen.
»Du kannst meine Worte nicht verstehen, Zamorra. Darum werde ich alles genauer erklären. Es ist nur nicht ganz leicht zu begreifen.«
»Ich habe in meinem Leben schon viele unglaubliche Dinge erlebt und gesehen«, erwiderte Zamorra. Und das entsprach der Wahrheit.
»Das weiß ich. Du bist ein ungewöhnlicher Mensch, Zamorra. Das ist gewiss der Grund, warum die Kräfte des Kosmos jene Verknüpfung zwischen dir und dem Lebewesen geschaffen haben.«
»Hat dieses Lebewesen auch einen Namen?«
Zamorra klang leicht genervt. Er wusste, dass Götter und andere überirdische Entitäten sich gerne orakelhaft und schwammig ausdrückten. Aber er wollte nun doch gerne wissen, woran er war.
»Gewiss, Zamorra. Das Lebewesen trägt den Namen Vasu.«
Der Name sagte dem Dämonenjäger überhaupt nichts. Auch Nicole machte nicht den Eindruck, als hätte sie ihn jemals vernommen. Dabei verfügte Zamorras Gefährtin über ein erstklassiges Gedächtnis und eine scharfe Intelligenz.
»Damit kann ich nichts anfangen, o Shiva. Der Name klingt für mich indisch, das ist alles.«
»Und damit hast du auch Recht, Zamorra. Vasu ist ein Lebewesen, von dessen Wohlergehen das zukünftige Schicksal Indiens abhängt. Ich will noch deutlicher werden. Wenn Vasu nicht gerettet wird, dann werden die Dämonenheere Indien überrennen. Auch wir, die Götter, können diesen letzten Kampf nicht gewinnen. Und die unvollkommenen Kräfte der Menschen schon gar nicht. Weder die India Demon Police noch die Armee werden die entsetzlichen Scharen von Asuras und anderen aufhalten können.«
Zamorra schluckte trocken. Als er in den indischen Höllenwelten gewesen war, um Asha Devi beizustehen, hatte er einmal kurz diese Dämonen gesehen, die Asuras genannt wurden.
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