0770 - Kind der Finsternis
»come in!« gerufen hatte, trat sie ein.
Das Kommandantenbüro der India Demon Police war gediegen eingerichtet. In einer Ecke hatte man eine indische Fahne an der Wand drapiert. Ein Ölgemälde stellte Mahatma Gandhi dar, den ersten Staatsmann des modernen Indien.
Einige Bronzestatuen zeigten die Götter Brahma, Krishna und Shiva. Hinter dem großen Teakholz-Schreibtisch thronte Superintendent A. C. Masrani. Der Polizeioffizier hatte eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einem typisch englischen Lord, wenn man von seiner dunklen Hautfarbe absah.
Jedenfalls zierte ein höchst imposanter Schnurrbart das Gesicht des Inders.
»Sir!«, rief Asha Devi und salutierte schwungvoll.
»Lassen Sie das, Asha«, knurrte A. C. Masrani. »Wir sind hier nicht auf dem Paradeplatz. Setzen Sie sich.«
Gehorsam nahm die Inspektorin auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch Platz.
Der Superintendent warf ihr einen Unheil verkündenden Blick zu. Er blätterte in einigen Unterlagen.
»Asha, im vergangenen Monat sind drei Verdächtige im Arrestbereich die Treppe hinuntergefallen…«
Die Inspektorin gestattete sich ein ironisches Grinsen.
»Ja, diese Treppe ist wirklich höchst gefährlich…«
A. C. Masrani schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch.
»Damit muss Schluss sein!«, blaffte er Asha Devi an.
»Begreifen Sie nicht, dass wir in einem Rechtsstaat leben? Indien ist die größte Demokratie der Welt. Auch die Polizei unterliegt bei uns parlamentarischer Kontrolle. Wir können nicht so einfach prügeln wie die Ordnungskräfte in einer miesen kleinen Diktatur. Wenn wir es vielleicht auch manchmal gerne wollen«, fügte er halblaut hinzu.
»Hören Sie, Sir…«
»Nein, Sie hören mir zu, Inspektorin Asha Devi! Die India Demon Police ist nicht Ihre Privatarmee! Sie haben sich gefälligst an die Vorschriften zu halten!«
»Bisher war meine Arbeit stets erfolgreich«, sagte Asha gekränkt.
»Erfolg ist nicht alles! Ich will hier nicht Erfolg um jeden Preis, Asha. Das Justizministerium und das Parlament haben uns ohnehin schon im Visier. Es gibt dort mächtige Kräfte, denen die India Demon Police ein Dorn im Auge ist. Wir dürfen diese Kritikern nicht noch zusätzliche Argumente liefern.«
»Was soll ich tun, Sir?«
»Gar nichts«, erwiderte der Superintendent schlicht. »Gehen Sie nach Hause, Asha. Oder fahren Sie in Urlaub. Sie sind ab morgen Früh vom Dienst suspendiert. Auf unbestimmte Zeit.«
»Was?« Asha Devi begehrte auf. »Aber ich…«
Der Vorgesetzte schnitt ihr das Wort ab.
»Sie stehen im Kreuzfeuer der Kritik, Asha. Es ist besser, wenn Sie erst einmal auf Tauchstation gehen, bis die Gemüter sich beruhigt haben. Sie haben sich die Suspendierung selbst zuzuschreiben. Ihre selbstherrliche und arrogante Art ist manchmal schwer zu ertragen, ehrlich gesagt.«
Asha Devi starrte den Superintendenten mit kalter Wut an.
»Ist das alles, Sir?«
»Für den Moment ja. Geben Sie morgen Früh Ihre Dienstmarke und Ihre Dienstwaffe bei Captain Langeshkar ab. Ich wünsche Ihnen, dass Sie zur Besinnung kommen und darüber nachdenken, wie Sie in Zukunft mit den Menschen umgehen.«
Du Weichei! Du Warmduscher! Du Softie!, dachte die Inspektorin. Aber sie sagte: »Sehr gut, Sir. Danke. Goodbye, Sir!«
Sie salutierte noch einmal, machte eine korrekte Kehrtwendung und verließ das Büro. Im Vorzimmer schaute die Sekretärin die Inspektorin mit unverhohlener Schadenfreude an.
Asha ging zu ihr hinüber und fetzte den soeben getippten Brief aus der Schreibmaschine. Die Inspektorin zerriss das Papier in unzählige Schnipsel und verstreute es dann wie Konfetti über die fassungslose Vorzimmerlady.
»Da fehlte ein Komma!«, behauptete Asha.
Dann stürmte sie hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
Sergeant Tanu empfing seine Vorgesetzte mit einem salzigen Grinsen.
»Leider ist der Verdächtige doch gestürzt, Madam. Er sieht schlimm aus. Ich konnte ihn nicht mehr auffangen…«
Asha Devi erzählte, was sie soeben vom Superintendenten gehört hatte. Ihr Untergebener kratzte sich ganz undienstlich am Hinterkopf.
»Dann steht uns jetzt wohl Ärger ins Haus, Madam.«
»Machen Sie sich mal nicht ins Hemd!«, blaffte Asha Devi mit ihrem üblichen Charme. »Wenn überhaupt, dann rollt mein Kopf! Ich bin Ihre Vorgesetzte, und ich bin verantwortlich, wenn Sie diesem Dreckskerl die Visage polieren!«
»Jawohl, Madam!« Tanu versuchte, die Inspektorin zu beschwichtigen. Er kannte ihre berüchtigten Tobsuchtsanfälle
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