0788 - Schreckensnacht der weißen Nonne
als wäre es ein großes Grab, in dem wir lebendig eingeschlossen werden.«
»Übertreibst du da nicht?«
»Das ist möglich, aber ich bin auf alles vorbereitet.«
»Und ich ebenfalls«, erklärte ich ihr lächelnd. »Du brauchst dich wirklich nicht zu fürchten, auch ich bin vorbereitet. Wenn du willst, bleibe ich.«
»Das geht nicht. Die Nonnen nehmen keinen normalen Mann auf. Und ein Priester bist du nicht.«
»Das habe ich auch nicht so gemeint. Ich denke, dass ich dann in deiner Nähe bleibe.«
»Das ginge. Aber wo willst du die Nacht verbringen?«
»Bitte, so konkret kann ich nicht werden. Ich möchte eben nur ein Auge auf dich haben, das ist alles.« Auch ich trank den Rest des Wassers aus meinem Glas. »Das ist nicht zuviel verlangt, finde ich. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Vor wem hast du Angst? Vor dem Kloster, vor dessen Mauern, vor deinen Mitschwestern, vor der Äbtissin…?«
»Sehr richtig, John«, unterbrach sie mich. »Vor der Äbtissin.« Sie hatte ihre Stimme gesenkt. »Sie ist furchtbar. Sie heißt Virginia, aber sie herrscht mit eiserner Strenge. Sie ist keine normale Jungfrau«, erklärte Anina kopfschüttelnd. »Sie ist ein weiblicher Tyrann.«
»So hast du sie gesehen?«
»Die anderen ebenfalls.«
»Wie stand sie zu dir? Hat sie dir etwas getan? Hat sie dich besonders auf der Liste gehabt?«
Anina hob die Schultern. »Das kann ich dir nicht einmal genau sagen – ehrlich. Sie war zu allen Mitschwestern nicht so, wie man sich eine Ehrwürdige Mutter vorstellt. Ich bin ihr aus dem Weg gegangen. Jetzt, wo wir darüber sprechen, da fällt mir ein, dass ich niemals mit ihr über meine Fähigkeiten gesprochen habe. Dieses Thema wurde tunlichst vermieden. Ich habe immer nur abgewiesen, wenn wir darüber reden wollten. Es kam nichts davon zur Sprache, was ich auch als gut empfand, wenn ich ehrlich sein soll. Ich wüsste nicht, wie ich mich verhalten hätte, wenn wir darüber geredet hätten.«
»Das hört sich an, als würdest du dich vor ihr fürchten.«
»So ist es auch.«
»Bei deinen Kräften?«
Anina hob die Schultern. »Was von diesen Kräften noch zurückgeblieben ist, kann ich dir nicht sagen, John. Ich muss mich jetzt, wo Dubbs nicht mehr lebt, erst wieder zurechtfinden.« Sie strich über ihren Pullover, der als Oberteil die lachsfarbenen Kostümjacke abgelöst hatte. Sie trug auch helle Jeans, weiche Schuhe, die bis zu den Knöcheln reichten, und hatte die Windjacke über den Nachbarstuhl gehängt.
»Es wird dir schon gelingen, und zwar im Kreis deiner Mitschwestern. Sollte es nicht so sein, dann wirst du das Kloster verlassen.«
»Wo soll ich hin?«
»Wir finden schon eine Lösung.«
Anina lächelte mich an. »Schön, dass du so optimistisch bist, John, ich kann es nicht sein.«
Da der Kellner schon einige Male sehr böse zu uns rübergeschaut hatte, stand ich auf und schob meinen Stuhl zurück. »Ich denke, wir sollten jetzt verschwinden.«
Die junge Nonne nickte nicht eben begeistert. So trist diese Umgebung hier auch war, sie schien ihr besser zu gefallen als das Leben hinter den Klostermauern.
Ich half ihr in die Jacke. Sie bestand aus einem grauen, flauschigen Stoff und reichte ihr bis zu den Oberschenkeln. Für einen Moment lehnte sie sich gegen mich. »Was immer auch geschieht, John, ich hoffe, du kannst mich beschützen.«
»Zumindest werde ich mich bemühen.«
»Das ist gut.«
Nicht sehr hoffnungsfroh verließen wir das Restaurant. Hinter uns schloss der Kellner die Tür ab. Sein Gesicht zeigte jetzt eine gewisse Freude.
Mein grüner Rover stand vor dem Haus. Er war ziemlich dreckig, bei dem Wetter kein Wunder. Warm war es plötzlich geworden.
Vielen Menschen machte dieser schnelle Wetterwechsel zu schaffen, und auch ich hatte mich ziemlich müde gefühlt. Das war nun zum Glück vorbei.
Bis zum Kloster waren es noch ungefähr zwanzig Meilen. Wir würden in der Dämmerung oder bei Dunkelheit dort eintreffen. Ich hatte noch keine Pläne gemacht, wie es dann weitergehen sollte. Allerdings wollte ich mir das Kloster genauer ansehen und auch mit der Äbtissin reden, vor der Anina eine seltsame Furcht zeigte. Ob sie begründet war, konnte ich noch nicht sagen, ich wollte bei der Erforschung meinen Gefühlen einfach freie Bahn lassen.
Wir rollten durch eine karge winterliche, schneelose Landschaft.
Es blühte nichts, die Umgebung sah traurig aus, und der Himmel über uns zeigte ein wechselhaftes Gesicht.
Es war keine Helligkeit zu sehen,
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