0788 - Schreckensnacht der weißen Nonne
und gefährlichen. Okay«, sie nickte, »fahr langsam weiter.«
»Was ist dann?«
»Ich weiß es noch nicht, wir müssen darauf gefasst sein, dass es uns entgegenkommt. Ich kann mir denken, dass es mich spürt. Ich glaube auch nicht, dass es an einer Rückkehr meinerseits interessiert sein wird. Es könnte mich hassen.«
»Ist es so schlimm?«
»Darauf müssen wir uns einstellen, John.«
Wenn sie das sagte, wollte und musste ich es akzeptieren, da ich nicht in der Dunkelheit fahren und auch nicht so schnell gesehen werden wollte, verzichtete ich darauf, das normale Licht einzuschalten. Das Standlicht musste ausreichen, um die Umgebung zu erhellen, dass zumindest dicht vor dem Wagen Gefahren zu erkennen waren.
Ich öffnete die Scheibe. Warme Luft streichelte unsere Gesichter, und ich hörte Anina leise schnaufen.
Es war doch sehr dunkel geworden, und die Landschaft hatte ihr geheimnisvolles Gesicht aufgesetzt.
»Gleich wird etwas passieren, John…« Ihre Stimme zitterte vor Erregung.
»Was und wo?«
»Hier in der Nähe, John, das spüre ich. Es hat tatsächlich etwas mit uns zu tun.«
»Ein Angriff?«
Sie quälte sich. »Das weiß ich nicht. Ich fühle mich nur nicht mehr sicher. Hier ist etwas freigekommen, das lange verschüttet war. Es hat etwas mit mir zu tun.«
Ich schwieg, denn ich sah ein, dass ich sie nicht stören konnte.
Anina hatte sich nicht wieder angeschnallt. Mit einer Hand stützte sie sich am Armaturenbrett ab. Dabei schaute sie stur nach vorn, denn in dieser Richtung lag das Kloster, das ihr so suspekt geworden war und vor dem sie sich fürchtete.
Das Licht war fremd für uns.
Ich sah es und schloss die Augen, öffnete sie wieder, weil ich an irgendeinen Reflex geglaubt hatte.
Gleichzeitig gab Anina neben mir einen leisen Laut der Überraschung ab. »John, das ist es. Schau doch, das Licht!«
Ich wollte schauen und stoppte deshalb. Die Scheinwerfer wurden wieder dunkel, und ich kam mir vor wie in einem Versteck.
Angespannt blieb ich sitzen. Gut, dieses Licht war wohl nicht normal, aber daraus etwas Schreckliches abzuleiten, war meiner Ansicht nach auch nicht ganz richtig.
Es verschwand nicht.
In der grauen Dunkelheit sah ich das Flackern. Intervallweise zerstörte es die Finsternis, riss sie in Fetzen, als wäre sie nur mehr ein großer Vorhang. Weit vor uns gab es immer wieder helle Lücken, die anfingen zu tanzen und sich an verschiedenen Stellen zeigten, aber trotzdem so etwas wie eine Geometrie hinterließen.
Im Laufe der nächsten Sekunden erkannten wir einen hellen, ziemlich großen Kreis am Himmel, der sich zuckend bewegte und dabei seinen Weg fortsetzte. Es war für uns nicht genau erkennbar, wohin dieser Weg führte, jedenfalls nicht von uns weg.
Die Luft drang weiterhin durch die halb heruntergekurbelte Scheibe. Sie hatte sich merklich abgekühlt, war auch anders geworden, klarer, wie nach einem Gewitter.
Scharf atmete ich aus, denn inzwischen hatte ich auch festgestellt, dass wir hier eine Veränderung erlebten, die keine natürliche Ursache haben konnte.
Anina saß ruhig da. Allerdings mehr wie die Ruhe vor dem Sturm, denn sie war gleichzeitig gespannt. Sie hatte sich nach vorn gebeugt.
»Das ist es, John«, sagte sie, ohne näher zu erklären, was sie meinte.
Ich fragte auch nicht nach, sondern beobachtete den großen, grellen Lichtkreis, der über der Landschaft schwebte, als wollte er die Dunkelheit und auch die Wolken kurzerhand zerreißen, weil ihm beides nicht passte.
»Sie ist frei…«
»Wer ist frei?«
Über Aninas Gesicht lief ein Schauer. »Sie hat die Freiheit, die sie zu meiner Zeit nicht kannte.«
»Okay, wer denn?«
»Die Äbtissin, die Ehrwürdige Mutter, die nicht so ehrwürdig ist.«
Anina schüttelte sich. »Sie hat sich nur verstellt. Sie steht nicht auf meiner Seite, sie ist eine Feindin, sie war mir gegenüber ein Neutrum. Aber jetzt hat sie die Fesseln gesprengt. Ich… ich glaube auch, dass sie mit Dubbs zusammengearbeitet und ihm den Weg zu mir gezeigt hat. Ja, das glaube ich, John, nein, das weiß ich sogar. Sie kommt, um Rache zu nehmen, ich weiß nicht, wofür, aber sie ist unterwegs.« Das alles war schwer zu begreifen.
Ich sah, wie sich ihr linker Arm bewegte. »John, ich halte es nicht mehr aus«, sagte sie und öffnete im selben Moment die Tür. »Ich muss schauen, ich…«
Sie huschte aus dem Wagen. Ich hatte schon während ihrer Bewegung den Gurt gelöst und befürchtete, dass sie fliehen wollte, das aber tat sie nicht.
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