08 - Der zeitlose Raum
unterbrach ihn der Mann in Weiß, noch ehe der Indio richtig angefangen hatte.
»Ich … danke.«
»Oh, dein Dank ist verfrüht«, sagte er. Ein Mensch an seiner Stelle hätte dabei vielleicht süffisant geklungen, vielleicht auch schadenfroh oder bedauernd, wenn sich hinter seiner rauen Schale ein weiches Herz verborgen hätte. Er aber hatte weder ein Herz, noch kannte er Schadenfreude oder dergleichen. Er verstand jedoch genug von den Menschen, um zu wissen, wie sie sich motivieren ließen und dass manche der Motivation bedurften.
Hätte er gewusst, was Selbstzweifel waren, hätte er sich jetzt möglicherweise vorgeworfen, so lange gewartet und Pauahtun nicht schon früher motiviert zu haben. Menschen waren schwach und dumm und machten Fehler, das war ihre Natur. Aber er musste nun mal mit diesem Material arbeiten; ein anderes stand ihm nicht zur Verfügung.
Der Mann in Weiß beugte sich vor und streckte den rechten Arm aus. Pauahtun wich um den Bruchteil eines Zentimeters zurück, ergab sich dann aber in sein Schicksal und ließ zu, dass die bleiche Hand in seinen Kopf eintauchte .
Während die Miene des Mannes in Weiß völlig bewegungs- und ausdruckslos blieb, schien Pauahtun sich unter Schmerzen winden und schreien zu wollen. Aber er war offenbar erstarrt, konnte sich weder bewegen noch einen Laut von sich geben. Nur in seiner Mimik wurden die Qualen offenbar, die er in diesen Minuten der Verschmelzung empfand.
Seine Brüder blickten stur geradeaus, während der Mann in Weiß ihren Anführer für jedes Versagen mit einem kleinen, grauenhaften Tod bestrafte und ihn jedes Sterben ganz durchleiden ließ, bis er ihn gewissermaßen am Rand des Grabes abfing, zurück ins Leben zerrte und von neuem sterben ließ.
Und das tat der Mann in Weiß, bis er – so weit es seine Menschenkenntnis zuließ – überzeugt war, Pauahtun so stark motiviert zu haben, dass er ihn nicht mehr enttäuschen würde.
Doch der Mann in Weiß kannte die Menschen schlecht. Denn Pauahtun war schon aufs Allerhöchste motiviert, lange bevor sein Herr ihn aus den Klauen ließ.
***
London, Interpol-Zentralbüro
Das Debriefing mit Walter Jorgensen lag schon ein paar Tage zurück, aber jedes Mal, wenn Spencer McDevonshire daran zurückdachte, zuckte es ihm noch in den Händen, die er dem verdammten Wichtigtuer zu gern um den Hals gelegt hätte. Und er dachte oft daran, weil ihm die Folgen dieser unerfreulichen Unterhaltung wie ein Schatten anhingen.
Jorgensen hatte es nicht ausdrücklich so benannt, aber er hatte McDevonshire nach den Vorfällen auf der Île de Ré zum Innendienst verdonnert. Und der Commissioner konnte kaum dagegen argumentieren, weil es keine Beweise dafür gab, was ihm mit dem Gendarmen Louis Cruchot widerfahren war. Seine Schilderung der Dinge klang wie der haarsträubende Versuch eines Spinners, das Unglaubliche glaubhaft zu machen. Jorgensen beharrte darauf, ihn nicht eher wieder »auf die Menschheit loszulassen«, bis die Sache mit Cruchot geklärt war.
Zum anderen hatte McDevonshire keinen Hinweis auf Thomas Ericsons Verbleib, den er als Trumpfkarte hätte ausspielen können. Die Spur des mutmaßlichen Mörders verlor sich mit seiner Ankunft in Folkstone, wo er und seine beiden Begleiter aus dem Zug gestiegen waren, der sie vom Festland auf die britische Insel gebracht hatte.
Deshalb tat McDevonshire notgedrungen, was Jorgensen ihm nahe gelegt hatte: Er befasste sich – abgesehen davon, dass er alte Akten über längst abgeschlossene Fälle auf ihre Vollständigkeit hin überprüfte – »ein bisschen mit dem Computer«.
McDevonshire hätte selbst nicht behauptet, mit der modernen Technik auf Kriegsfuß zu stehen. Aber er konnte einem Computer einfach nichts abgewinnen. Er wusste, wie man ihn bediente, ja. Aber während andere Kollegen sich praktisch nur noch darauf verließen, empfand er sich immer noch als »polizeilichen Handwerker«.
An diesem Nachmittag erwies es sich allerdings als glücklicher Zufall – oder gab es doch so etwas wie Bestimmung? –, dass er sich vor den Rechner gesetzt hatte, um nach neuen Spuren Thomas Ericsons zu suchen.
Denn plötzlich tauchte der Name im Zusammenhang mit einem höchst ungewöhnlichen Ereignis auf einem Parkplatz direkt neben Stonehenge auf: der Notlandung einer von Kugeln durchsiebten Cessna 206. Zwar lautete der Vorname der Pilotin auf eine gewisse Abigail, aber McDevonshire brauchte nicht lange, um die Verbindung zu Thomas Ericson herzustellen, ihrem Ex-Mann.
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