08 - Der zeitlose Raum
Abby hatte Wasser eingeatmet. Ebenso reflexartig versuchte sie es auszuhusten, aber das ging nicht, denn sie befand sich unter Wasser, und sie versank, immer noch getrieben von der Wucht des Sturzes, tiefer und tiefer in die Eiseskälte.
Ironie des Schicksals – da hatte sie das Glück gehabt, sich beim Aufprall nicht den Hals gebrochen zu haben, sondern in einem unterirdischen Gewässer zu landen, und dann sollte sie darin ersaufen!
Mit aller Macht kämpfte sie gegen die Panik an, die sie zu überrollen drohte. Dabei half ihr, dass die Abwärtsbewegung langsam endete – und sich dann umkehrte. Abby spürte, wie sie wieder nach oben stieg.
Der Rucksack, dachte sie. Er war fast luftdicht verschließbar und verlieh ihr jetzt Auftrieb.
Abby raffte alle Kraft zusammen, die in ihrem auskühlenden Körper noch aufzutreiben war, und bewegte die Beine, um den Auftrieb zu unterstützen. Das Verlangen nach Luft wurde übermächtig. Ein, zwei Sekunden rang Abby noch gegen den Reflex, die Lippen zu öffnen, dann verlor sie dieses Ringen.
Doch es war Luft, die ihre Lunge füllte. Modrige, köstliche Luft!
Als sie die Hände bewegte, um sich an der Oberfläche zu halten, bemerkte sie, dass ihre Rechte immer noch die Tonröhre mit Diego de Landas Aufzeichnungen hielt. Gott sei Dank, das fünfhundert Jahre alte Behältnis war noch da. Sie schüttelte es. Kein Wasser darin. Die Siegelmasse, die den Zylinder verschloss, hatte ihren Zweck erfüllt.
Dunkel war es ringsum immer noch, aber immerhin nicht stockfinster. Von irgendwoher, auf den ersten Blick nicht zu lokalisieren, kam schwaches Licht, nicht mehr als ein Schimmer, der gerade ausreichte, um die Umgebung erahnen zu können.
Abby fand sich inmitten eines unterirdischen Wasserlaufs wieder. Über ihr spannte sich nur Schwärze wie ein sternenloser Nachthimmel. Die Decke war nicht zu sehen. Sie musste jedoch vorwiegend aus Kalkstein bestehen, der typisch für Yucatán war.
Zu erreichen war diese Decke ohnehin nicht. Abby musste einen anderen Weg finden, um hier rauszukommen.
Und erst einmal musste sie raus aus dem Wasser, dessen Kälte sie regelrecht lähmte. Mit etwas unbeholfenen Schwimmzügen, weil die nasse Kleidung sie behinderte, erreichte sie das Ufer des unterirdischen Flusses. Sie zog und stemmte sich auf den felsigen Streifen, der zwischen Fluss und Tunnelwand verlief, und jetzt erst merkte sie wirklich, wie kräfteraubend dieses knappe Überleben gewesen war.
Sie schaffte es nicht, aufzustehen. Das Herz raste in ihrer Brust, ihr wurde schwindlig und die Kälte ließ sie zittern und mit den Zähnen klappern. Minutenlang konnte sie nichts weiter tun, als sich an die Felswand zu lehnen und einfach nur zu warten, bis ihr Körper sich halbwegs erholt hatte.
Das gab ihr Zeit, ihre Situation zu rekapitulieren.
Tom war schuld.
Nein, korrigierte sie sich sogleich. Das war nicht fair. Es war ihre eigene Schuld, weil sie eingewilligt hatte, Tom den Gefallen zu tun, um den er sie gebeten hatte. Und weil sie ihm geglaubt hatte, als er sagte, die Sache sei ein »Klacks« – sie bräuchte nur nach Yucatán zu fliegen, der Karte zum versteckten Grab eines im 16. Jahrhundert gestorbenen Maya-Kaziken zu folgen und von dort einen Armreif mitzunehmen und was sonst noch in der Grabhöhle herumliegen mochte.
Im Vergleich zu vielen Dingen, die sie früher mit ihrem Exmann erlebt hatte, hörte sich das wirklich an wie ein Kinderspiel. Sie hatte nur vergessen, dass sich aus Toms Mund fast alles zunächst einmal anhörte wie ein Kinderspiel.
Und dann waren da noch Toms »Freunde«, von denen Tom lediglich glaubte, sie wären seine Freunde – weil er vergessen hatte, dass sie stinksauer auf ihn waren.
Xavier Soto war so ein Fall. Er hatte Abby als einheimischer Guide auf ihre Suche nach dem Dschungelgrab begleitet – und ihr den »Schatz«, den Armreif des toten Maya, abgenommen, kaum dass sie ihn gefunden hatten. Was sie ihm doppelt übel nahm, weil sie sich in der Nacht zuvor noch ausnehmend gut verstanden hatten …
Soto hatte sie niedergeschlagen und war verschwunden – und zwar mit dem Plan, den man brauchte, um die Falle, die das Maya-Grab sicherte, zu umgehen.
Abby hatte die Falle beim Versuch, das Grab auf gut Glück zu verlassen, ausgelöst, und so war sie hier gelandet, in der Unterwelt sozusagen, von den Maya einst Xibalbá genannt, »Ort der Angst«, wo die Toten Prüfungen und Kämpfe bestehen mussten, bevor sie ins Paradies einziehen durften.
Fast hätte
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