0801 - Ruine des Schreckens
dass nur Suko und Robert Morse diese Gestalten sahen? Man musste mit allem rechnen, denn die vier vereinigten eine gewaltige Macht. Sie konnten Zeiten manipulieren, sie schafften es, den Menschen etwas vorzugaukeln, und sie sahen sich als Teil eines Ganzen an, denn auch sie gehörten zum Kreislauf der Welt, wo sich Gut und Böse verteilten.
Suko war einige Schritte vorgegangen und drehte sich um, als er den scharfen Atem des Schriftstellers hörte. Morse sprach mit sich selbst, er war aus der Fassung geraten, er zitterte, und sein Gesicht hatte auch die letzte Farbe verloren.
Neben ihm blieb Suko stehen. Auch das konnte den alten Mann nicht beruhigen, heftig atmete er weiter, strich immer wieder über seine Stirn, um den kalten Schweiß abzuwischen.
»Ich wusste es«, sagte er. »Es ist das Böse, das unsere Zeit beherrscht. Man kann ihm einfach nicht entkommen. Wir Menschen haben Fehler begangen, wir haben nie auf das Böse geachtet, wir haben darüber gelacht, aber das hätten wir nicht tun dürfen. Ich wusste es, ich habe es schon vor Jahren gewusst, als ich die Ruine fand. Ich bin zu der Wand nie vorgedrungen, aber ich habe ihre Ausstrahlung bemerkt, Suko, verstehen Sie?«
»Das glaube ich.«
»Es war anders. Ich kann es Ihnen nicht beschreiben. Es war zeitlos, nicht in Worte zu fassen. Und glauben Sie mir eines, mein Freund. Ich habe die alte Ruine fluchtartig verlassen. Ich wollte den Namen Gamala vergessen.«
»Heißt so das Kloster?«
»Ja, so heißt es. Man spricht nicht gern darüber. Die Schrecken sind einfach zu groß gewesen. Die Mönche starben, viele andere auch, sie gingen in den Tod. Das Kloster ist eine riesige Leichenhalle. Noch heute findet man in den Ruinen die alten, bleichen Gebeine, denke ich. Es ist grauenhaft, denn dort ist das Böse der alten Zeit noch lebendig geblieben. Du musst Achtgeben, wenn du dort bist, du musst dich vorsehen, und lasse dich niemals von der Ruhe täuschen, die dort herrscht, denn es ist eine trügerische Totenstille.«
Suko hatte den hastig gesprochenen Worten genau zugehört, ohne allerdings die Gesichter der vier Erzdämonen aus den Augen zu lassen. Sie blieben, und sie schauten, sie waren böse, und Suko fragte sich, was sie unternehmen würden.
Nichts taten sie.
Sie schickten auch keinen ihrer Diener, und Suko beruhigte sich allmählich. Er griff in die Tasche und holte das Orakel hervor. Der alte Mann hatte es ihm gegeben, ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben, und Suko freute sich über den Beweis des Vertrauens. Er würde alles versuchen, um das Vertrauen des Autors und Forschers nicht zu enttäuschen.
Über die Handhabung des Orakels wusste er noch nicht Bescheid. Suko konnte nur hoffen, dass es ihm den Weg zur Bundeslade zeigen würde, denn sie allein war die ultimative Waffe gegen die Kreaturen der Finsternis.
Es wunderte Suko nicht einmal, dass die vier Erzdämonen zu den Kreaturen der Finsternis zählten oder zumindest auf deren Seite standen, denn sie waren ebenso alt, und sie verstanden es, sich immer noch einem mächtigen Dämon zuzuwenden, eben Luzifer und auch in ehemaligen Zeiten Asmodina, der Tochter des Teufels.
Doch jetzt verschwanden sie.
Suko wusste nicht, wie lange sie sich gezeigt hatten, die Zeit war in diesem Fall bedeutungslos geworden, aber das erste Auftauchen schien ihnen gereicht zu haben.
Kurz und drohend. Eine Warnung ausstrahlend, sich nicht um Dinge zu kümmern, die andere nichts angingen.
Sie zogen sich zurück, und ihre hässlichen Gesichter lösten sich einfach auf.
Sollte das alles gewesen sein? Darüber dachte Suko nach, und er wollte es eigentlich nicht akzeptieren. Sie tauchten nicht einfach aus Spaß auf, es musste einfach mehr dahinter stecken, doch um dieses Rätsel würde Suko sich später kümmern.
Morse wischte über seine Augen. »Sie sind weg, nicht wahr?«, hauchte er.
»Ja.«
»Freuen Sie sich.«
Suko hob die Schultern. »Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll.«
»Nein, auf keinen Fall. Das ist die Macht des Bösen, Inspektor. Sie hat uns bewiesen, dass sie noch anwesend ist. Das dürfen Sie niemals vergessen.«
»Das Orakel hat uns nicht geholfen.« Suko hatte es etwas vorwurfsvoll gesagt.
Der alte Mann schaute zu ihm hoch. »Wie sollte es auch, mein Freund? Wie sollte es auch?«
»Das verstehe ich nicht.«
»Das Orakel ist keine Waffe, Inspektor. Es ist einfach nur ein Wegbereiter, mehr nicht.«
»Wohin?«
»Du wirst es sehen, wenn du die Ruine erreichen solltest.
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