Nibelungen 07 - Das Zauberband
1. KAPITEL
aban ließ seinen Hengst am langen Zügel durch den Wald schreiten und gab acht, den schmalen Pfad, der durch das dichte Gesträuch führte, nicht zu verlieren.
Die Nacht war angebrochen, und die Finsternis um ihn vertrieb die letzten Schimmer der abendlichen Dämmerung.
Wenn er diesen Weg hinter sich hatte, dachte Raban, mußte er die weite Ebene erreichen. Da wollte er rasten und sich und seinem Hengst bis zum Sonnenaufgang Ruhe gönnen. Dann waren es nur noch wenige Tagesreisen bis zu den Feuerbergen.
Der schmale Pfad vor ihm schlug plötzlich einen leichten Bogen und wurde noch unwegsamer. Knorrige Wurzeln und dicke Äste ragten aus dem harten Boden hervor und ließen den Hengst, der sonst einen sicheren Schritt hatte, nun immer wieder stolpern. Wildes Gesträuch, das rechts und links des Weges stand, zerrte an Rabans Umhang und schien ihn mit unzähligen dürren Fingern aufhalten zu wollen. Immer dichter wuchsen die Zweige zusammen, so daß der junge Ritter Mühe hatte, dem Weg zu folgen. Er nahm die Zügel ein wenig kürzer. Der Wald hier war ganz anders als in Worms. Die Bäume und Sträucher wirkten schwerer mit ihren tiefbraunen Stämmen und den ineinander verschlungenen Ästen. Häufig schlugen ihm dünne Gerten ins Gesicht und zerkratzten ihm die Haut.
Die Jahre in der Fremde, die er bei Ritter Faramund in Worms verbracht hatte, hatten ihn die rauhe Landschaft seiner Heimat fast vergessen lassen, doch jetzt, da er zurückgekehrt war, erinnerte er sich an manches, was ihm als Kind lieb und teuer gewesen war. Er genoß den würzigen Duft, der ihn umgab, den kühlen Wind, der schneidend wie eine scharfe Klinge sein konnte; ja, selbst dieser unwegsame Wald gab ihm eine stille Gewißheit, wieder zu Hause zu sein.
Raban schaute auf. In einiger Entfernung vor ihm schimmerte ein rötliches Licht durch die tiefhängenden Zweige. Einen Augenblick glaubte er ein Lagerfeuer zwischen den Bäumen zu sehen, doch dann verwarf er den Gedanken wieder und zügelte das mächtige Pferd. Das Licht stammte nicht von einem Lagerfeuer. Je länger er es betrachtete, um so sicherer wurde er. Es war nicht hell genug, es flackerte nicht, und für eine einzelne Fackel war es zu beständig in seinem Leuchten.
Der Hengst begann unruhig mit den Hufen zu stampfen.
»Ruhig, Bortino«, sagte Raban leise. Dann sah er vor sich auf dem Weg den schwarzen Umriß eines kräftigen Katers, der geradewegs auf das Licht zueilte. Der junge Mann tätschelte seinem Pferd beruhigend den Hals.
»Es war nur ein Kater«, flüsterte Raban und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Lichtschein zu. Eine klare, dunkle Frauenstimme begann laut ein fremdartiges Lied zu singen. Raban lauschte eine Weile, dann ließ er sich entschlossen zu Boden gleiten.
»Warte hier, Bortino«, sagte er leise und zerrte an seinem Umhang, dessen feine Wollfäden sich in dem nahen Gebüsch verfangen hatten.
Vorsichtig, um nicht wieder hängenzubleiben, schlich Raban im Schatten der Bäume näher an das Licht heran. Schließlich erspähte er abseits des Weges eine kleine Lichtung, die von flammendrotem Mondlicht überschwemmt wurde, das die Quelle dieses geheimnisvollen Leuchtens war.
In der Mitte der Lichtung stand eine Frau in schwarzen Gewändern und hielt die Arme emporgestreckt, geradewegs dem vollen, blutigen Mond entgegen.
Die Fremde war schön, stellte Raban verwundert fest. Irgendwie war er in einem solch unwegsamen Wald eher auf ein häßliches, altes Mütterchen gefaßt gewesen als auf eine solch anmutige Frau. Ihr langes, rotblondes Haar glänzte in dem gespenstischen Licht, als sei es aus Bronze gegossen. Ihre zarten Hände wirkten unschuldig und flehend, doch ihre Stimme war dunkel und kraftvoll. Sie schien den ganzen Wald zu erfüllen.
Vermutlich war die Frau eine Priesterin, doch es konnte keine von den heiligen, weißen Frauen sein, obwohl der Wasserfall, an dem die Gwenyar lebten, nicht allzuweit von diesem Wald entfernt lag. Aber die Priesterinnen des heiligen Gartens trugen bei ihren Ritualen, soweit Raban sich entsinnen konnte, keine schwarzen Gewänder, und sie hätten wohl kaum diesen unheilkündenden Mond gepriesen.
Neugierig tastete Raban sich noch ein wenig weiter vor, bis er unter einem wild wuchernden Strauch ausreichend Deckung fand. Behutsam bog er die dornigen Zweige ein wenig auseinander, um besser sehen zu können. Zu den Füßen der Priesterin lag ein dunkler Haufen von Hölzern. Als ihr Gesang verstummte, ließ die
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