0815 - Die Höllenbestie
kein Riese, es war sein Bruder Jory, der sich neben ihn schob und ihm die Mündung der Waffe in den Magen bohrte.
»Hi, Brüderchen!« Jory zog die Tür zu.
Jake antwortete nicht.
»Wir werden jetzt fahren, mein Freund. Ich kann es sogar, ob du es glaubst oder nicht. Wir sind doch brave Kinder, nicht wahr?«
Jake schwieg.
»Sind wir brav?«
Er gab keine Antwort.
Da hob Jory die Waffe an. Die Mündung krachte gegen Jakes Kinn und schmetterte den Kopf zurück. Er stöhnte und hatte das Gefühl, die Zähne in der unteren Reihe gelockert zu haben.
»Sind wir brav, Brüderchen?«
»J… ja …«
»Wunderschön, Bruder. Da wir brav sind, sind wir auch gehorsam. Wir werden jetzt fahren. Ich kann es. Mutter brachte es mir bei. Als brave Jungen wollen wir doch unsere Mütter, besuchen.« Er lachte, und Jake glaubte, in einen bodenlosen Schacht zu versinken.
Leider konnte er nichts tun, gar nichts…
Jory aber startete. Seine Waffe lag so auf den Knien, dass die Mündung nach links zeigte und Jake auch berührte. Er konnte sich vorstellen, dass Jory ihn auch während der Fahrt erschoss, wenn er sich dessen Meinung nach falsch bewegte.
Nur wollte Jake nicht fliehen. Er musste zu seiner Mutter, denn er konnte sie in keinem Fall mit einer solchen Bestie allein lassen…
***
Ich hatte ungefähr die Hälfte des flachen Abhangs hinter mich gebracht, als mir klar wurde, dass ich einen Fehler begangen hatte.
Eine riesige Dummheit, wie es mir plötzlich durch den Kopf schoss, und da wusste ich Bescheid.
Ich hätte meinen Schützling nicht allein zurücklassen sollen. Mister Amok war nicht brandgefährlich, sondern auch teuflisch schlau.
Tot war er nicht, kampfunfähig hatten wir ihn ebenfalls nicht bekommen. Wie ich ihn einschätzte, hatte er sich ein Versteck gesucht, aus dem er das Geschehen beobachtete.
Vielleicht mich oder auch Jake?
Ich war stehen geblieben und drehte mich sehr langsam zur Seite.
Mein Interesse galt nicht mehr der vor mir liegenden Strecke, sondern der, die ich bereits überwunden hatte.
Niemand hielt sich hier auf.
Hatte ich mich geirrt?
Nein, denn plötzlich hörte ich ein mir sehr bekanntes Geräusch.
Ein Wagen wurde gestartet.
Ein Golf.
Ich rannte los.
Der Abhang kam mir plötzlich doppelt so lang vor. Ich sah sein Ende wie einen dunklen, schmalen, tanzenden Schatten vor mir, und ich sah noch mehr, einen wandernden, hellen Lichtteppich, der dem fahrenden Golf vorauseilte.
Ich hatte das Nachsehen.
Wütend blieb ich auf dem schmalen Weg stehen, die Brücke in meinem Rücken.
Ich war sauer, deprimiert, aber nicht auf Mister Amok, sondern auf mich selbst.
Wenn jemand jemals lautlos geflucht hatte, dann war ich es!
***
Amy Lester und Suko hatten die Worte der Mutter zwar gehört, sie aber nicht begriffen. Auch konnten sie sie nicht in einem Zusammenhang mit dieser widerlichen Masse bringen, die aus der Wunde am Kopf drang, und die möglicherweise dafür Sorge trug, dass diese Person sich nicht einsetzen konnte.
Sie irrten.
Es ging ihr besser.
Ein stöhnender und erleichtert klingender Atemzug war der Beginn einer neuen Kraftanstrengung, mit der die Mutter ihren Oberkörper in die Höhe schnellte.
Auf dem Boden blieb sie hocken.
Sie grinste.
Amy ging einen Schritt zurück. Sie fürchtete sich vor dieser Frau, aus deren Kopfwunde weiterhin die Flüssigkeit wie dicker Sirup rann.
Schatten füllten das Zimmer aus. Mal waren sie heller, mal hatten sie sich verdichtet. Vom Garten her fiel Licht durch das offene Fenster. Die dort stehenden Lampen reagierten immer dann, wenn die Dunkelheit einen bestimmten Punkt erreicht hatte. Sie schalteten sich automatisch über Fotozellen ein. Vom Nachbargarten her hörten sie die Stimmen der Griller. Sie alle klangen fröhlich. Dort wurde gefeiert.
»Ich bin nicht tot, auch wenn ihr euch das gewünscht habt«, flüsterte die Mutter, »und auch Jory ist nicht vernichtet worden. Er hat nur etwas Pech gehabt, doch die Verletzung ist nicht so schlimm, wie ihr sehen könnt.«
Suko begriff es nicht. Amy hatte sowieso abgeschaltet. Sie wollte nicht nachdenken, sonst würde sie noch verrückt.
»Was ist mit Jory?«
»Er kommt.«
»Was ist mit dir?«
»Ich spüre ihn. Er ist ich, und ich bin er. Wir sind zusammengewachsen, man hat uns mit Höllenfeuer getauft. Wenn er sich freut, freue auch ich mich. Wenn er weint, dann weine auch ich. Wenn er Schmerzen aushalten muss, leide ich ebenfalls, und wenn ihm eine Verletzung zugefügt wird, bekomme ich
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