0827 - Der Dämon von Songea
schon. Ich war nur für einen Moment eingenickt.«
Maria sah nicht überzeugt aus. Die rundliche Frau war zu ihrem großen Leidwesen kinderlos geblieben, hatte all ihre mütterliche Fürsorge auf Kiango übertragen, und sie war nicht bereit, sich so schnell abspeisen zu lassen.
»Sie sehen krank aus«, sagte sie nachdrücklich. »Schon seit Tagen.«
»Wahrscheinlich habe ich etwas gegessen, das mir nicht bekommen ist«, wich der Priester aus.
Im selben Moment erkannte er den Fehler. Wenn es etwas gab, das Marias Ehre mehr verletzte als das Unwohlsein des ihr anvertrauten Priesters, dann war es Kritik an ihrer Küche.
»Ich habe gestern diesen neuen Imbiss an der Ecke ausprobiert. Die gegrillten Fleischspießchen schmeckten ziemlich eigenartig«, schob er schnell nach, als er Marias empörten Blick sah.
»Das geschieht Ihnen ganz recht, Vater Müssen Sie bei mir etwa hungern?«
»Nein, natürlich nicht. Es sah nur so verlockend aus…«
»Und das haben Sie jetzt davon!«, schimpfte die Haushälterin.
Kiango entging nicht die Genugtuung in ihrer Stimme. Himmel, wenn es ums Essen geht, ist sie eifersüchtiger als jede Ehefrau, dachte der Priester amüsiert. Doch sein zerknirschtes Eingeständnis hatte die resolute Frau immerhin gleich wieder besänftigt.
»Gehen Sie nur rein. Ich habe etwas Hühnersuppe gemacht, die wird Ihrem Magen gut tun. Und frische Limonade ist auch da.«
»Das werde ich tun«, sagte Kiango und erhob sich. Er fühlte sich tatsächlich unwohl, aber das hatte nicht das Geringste mit seinem Magen zu tun.
Der Traum ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Hardenberg - der Weiße Zauberer. Kiango kannte die Geschichten, die sich nach der Niederschlagung des Aufstandes wie ein Lauffeuer unter den Überlebenden verbreitet hatten. Ein deutscher Offizier habe das Geheimnis der Maji-Maji-Magie gewaltsam an sich gerissen und den Soldaten der Kolonialmacht ein Gegenmittel verabreicht. Wie den leibhaftigen Teufel hatten die angeblichen Augenzeugen diesen Ferdinand von Hardenberg beschrieben, und jeder, der die Geschichte weitertrug, schmückte die Grausamkeiten des Weißen Zauberers immer noch ein bisschen weiter aus.
Eine schöne Legende, um vom eigenen Versagen abzulenken, dachte der Priester bitter.
Lange hatte er diese alten Geschichten verdrängt. Kiango stand für ein modernes, aufgeklärtes Tansania, mit der unrühmlichen Vergangenheit wollte er nichts zu tun haben.
Doch leider war er selbst ein Teil von ihr. Denn Kinjikitile war nicht der einzige Magier in seiner Familie. Kiango selbst war seit seiner frühesten Kindheit in den magischen Künsten ausgebildet worden, bis er sich entschlossen hatte, dem Aberglauben abzuschwören und sich dem Glauben zuzu wenden.
Als Priester hatte er für das Dorf, in das es seine Vorfahren in den Wirren des Krieges verschlagen hatte, viel Gutes getan, ohne den alten Göttern huldigen zu müssen. Götter, die es letztlich nur ins Verderben gestürzt hatten. Mit Bitterkeit dachte Kiango an die unzähligen Krieger, die im Kugelhagel gefallen waren, weil sein Urgroßvater ihnen eingeredet hatte, seine Maji-Maji-Medizin verwandle die Kugeln ihrer Feinde in Wasser.
Arme Narren! Sie sehnten sich nach der Freiheit und fanden den Tod. Kiango war überzeugt davon, dass nur die Macht der Liebe den Menschen die wahre Freiheit bringen konnte, und nicht die zerstörerische Kraft des Krieges. Doch bis dahin war es noch ein langer Weg.
Der Priester überschritt die Schwelle seines bescheidenen Hauses - und erstarrte.
Direkt vor ihm stand Kinjikitile und lächelte ihn an. Der Heiler war seit hundert Jahren tot, vermutlich hingerichtet von einer unbarmherzig auf Rache sinnenden Besatzungsmacht, und doch stand er hier: ein stolzer, außergewöhnlich großer Mann mit pechschwarzen langen Haaren. Der Kanzu, das für ihn typische weiße Gewand, strahlte so hell, dass Kiango blinzeln musste.
Kinjikitile öffnete die Lippen und sprach, doch kein Laut war zu hören. Immer verzweifelter redete der Maji-Maji-Zauberer auf seinen Urenkel ein, doch es war vergeblich, er drang nicht zu ihm durch.
»Nein«, keuchte Kiango. Das muss wieder ein Traum sein. Er blickte zurück durch die Haustür. Das grelle Licht der Mittagssonne blendete ihn, aber er konnte deutlich Maria sehen, die leise vor sich hin singend die Veranda fegte.
Er sah wieder nach vorne.
Kinjikitile war immer noch da. Er wirkte zornig und verzweifelt.
»Du kannst nicht echt sein, du bist ein Traum!«
Heftig schüttelte
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