0827 - Der Dämon von Songea
rekrutierten sich zumeist nicht aus der einheimischen Bevölkerung. Viele stammten aus dem Sudan oder waren entwurzelte Desperados, die es an die ostafrikanische Küste verschlagen hatte.
In der schwarzen Zivilbevölkerung waren die Askari aufgrund ihres arroganten und brutalen Auftretens verhasst. Doch das erklärte nicht, warum ihr Anblick Ferdinand von Hardenberg erzittern ließ. Als Offizier der Schutztruppe hatte er von ihnen kaum etwas zu befürchten. Und doch war er vor Angst wie gelähmt. Die stolzen schwarzen Soldaten verkörperten für den blassen Leutnant aus gutem Hause all das, was diese Welt so unheimlich und fremd für ihn machte.
Ich hätte nie Herkommen dürfen, war ihm klar. Ich gehöre nicht nach Afrika!
Nach der Ansprache des Hauptmanns marschierten sie zum Fort. Dar es Salaam war erfüllt von den exotischsten Klängen und Gerüchen. Doch Ferdinand von Hardenberg hatte keinen Sinn für die Schönheit der Hauptstadt, die den Reichtum der Kaufleute aus der muslimischen Führungsschicht und der deutschen Handelsgesellschaften so selbstbewusst zur Schau stellte. In jedem dunkelhäutigen Gesicht, das ihnen entgegenblickte, schien er Hass und Verschlagenheit zu entdecken.
Wahrscheinlich ist es ihr innigster Wunsch, ihren Herren die Kehle durchzuschneiden, dachte Hardenberg. Am liebsten würden sie uns alle gleich wieder ins Meer treiben. Er würde auf Nummer Sicher gehen und nie wieder ohne Waffe ins Bett gehen.
Endlich erreichten sie das Fort. Es war eine mächtige Anlage, deren Zweck nicht zuletzt darin bestand, die einheimische Bevölkerung durch ihre schiere Größe zu beeindrucken. Eine Demonstration der Stärke des Deutschen Reiches am anderen Ende der Welt.
Als sich das massive Tor hinter ihnen schloss, atmete Ferdinand von Hardenberg auf. In der Abgeschlossenheit der Kaserne fühlte er sich fast wie zu Hause. Und für einen Moment gelang ihm sogar zu vergessen, welche dunkle und unheimliche Welt außerhalb dieser Mauern auf ihn lauerte…
***
Heute
Es hatte Stunden gedauert, alle Opfer ins Krankenhaus von Songea zu schaffen, und jetzt verbrachte Dr. Gwassa schon weitere drei Stunden damit, die Leichen zu obduzieren. Wer immer in Nysuga gewütet hatte, er hatte niemanden verschont.
57 Tote. Alle ertrunken.
Ferdy Mbeya wurde schlecht, wenn er nur daran dachte. Während sich der Chief am liebsten sinnlos betrunken hätte, um den grauenhaften Bildern zu entfliehen, schien der Doktor regelrecht aufzublühen. Aus dem traurigen, alten Alkoholiker war innerhalb weniger Stunden ein ernsthafter Mediziner geworden, der alles daran setzte, dem furchtbaren Verbrechen, mit dem sie konfrontiert waren, auf den Grund zu gehen.
Denn daran, dass es sich um ein Verbrechen handelte, zweifelte Mbeya keine Sekunde. Menschen ertranken nicht einfach so in ihren Hütten. Auch wenn er nicht die geringste Ahnung hatte, wieso sich jemand so eine obskure Methode ausdenken sollte, jemanden um die Ecke zu bringen.
Aber wenn es gar kein Mensch war… ?
Sofort verdrängte der Polizeichef den Gedanken wieder in die hintersten Winkel seines Bewusstseins. Er hatte das Getuschel der Krankenschwestern sehr wohl gehört. »Maji-Maji« hatten sie geflüstert und dabei so verängstigt ausgesehen, als sei der Teufel persönlich hinter ihnen her.
Aber das konnte nicht sein, das gab es einfach nicht. Das war-Vergangenheit und längst vorbei.
Jetzt saß der Polizeichef wieder in seinem Büro, rauchte eine Zigarette nach der anderen und wartete auf Gwassas Anruf. Er würde Hilfe von außen anfordern müssen. Mit diesem Problem war seine kleine Dienststelle eindeutig überfordert. Doch so sehr sich Chief Mbeya wünschte, die-Verantwortung abgeben zu können, so sehr fürchtete er diesen Schritt. Wenn er tatsächlich seine Vorgesetzten informierte, würden sie nicht locker lassen, bis der unheimliche Massenmord bis ins Letzte aufgeklärt war. Und Mbeya wusste nicht, ob ihm gefallen würde, was dabei herauskam.
Dreh keinen Stein um, wenn du nicht sicher bist, dass keine Schlange darunter ist, lautete ein altes Sprichwort der Ndendeuli, und bisher hatte sich Mbeya immer daran gehalten.
Der Chief schreckte auf, als er jemanden im vorderen Großraumbüro zaghaft rufen hörte. Da alle seine Leute den Tatort untersuchten, war er im Moment der einzige Beamte weit und breit. Und damit auch für eventuelle Besucher zuständig.
»Hallo? Ist hier jemand?«
»Nicht schon wieder«, murmelte der Polizeichef. Mbeya erhob sich
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