0828 - Der Henker des Herzogs
er seine Hände auf Beas Schultern legen wollte, schüttelte die Frau den Kopf und wich zurück.
»Ich weiß, was Sie sagen wollen, er lebt nicht mehr. Er ist tot, nicht wahr…?«
Bill hob nur die Schultern.
***
Er oder ich!
Ich hatte den Finger am Abzug, aber ich schoss nicht, und Goddem schlug auch nicht zu, denn noch in der Bewegung traf ihn die Veränderung wie ein Blitzstrahl.
Was jetzt ablief, war auch für mich, der ich schon viel erlebt hatte, unglaublich, denn über die Gestalt des Henkers hinweg huschte ein dunkler Schatten. Als hätte jemand eine Gardine vor seinen Körper gezogen. Gleichzeitig drehte sich der Schatten in seine Gestalt hinein und wurde dort zu einem zweiten.
Ich stand da und staunte.
Für Richard Löwenherz hatte ich keinen Blick mehr, denn hier fand ein magischer Austausch statt, in dem der Faktor Zeit eine sehr wichtige Rolle spielte.
Seinen Körper gab es nicht mehr, erlöste sich einfach auf, ebenfalls sein Schwert, dafür veränderte sich der Schatten. Er verlor alles Feinstoffliche und verwandelte sich in einen Körper, der tatsächlich aus Fleisch und Blut bestand.
Ein Mann stand vor uns.
Er sah so aus wie der Henker, hätte ein Zwilling von ihm sein können, war es wahrscheinlich auch, und als ich ihn automatisch fragte, wer er sei, da erhielt ich auch eine Antwort.
»Ich bin Harold Quentin!«
***
Glücklicherweise war ich es gewohnt, Überraschungen zu erleben und diese auch schnell verdauen zu können. Mich haute das Geständnis nicht um, obwohl ein Mann vor mir stand, der aus meiner Zeit kam. Es war derjenige, der von seiner Familie gesucht worden war. Ich wartete natürlich auf die entsprechenden Erklärungen, falls er sie mir überhaupt würde geben können. Zurzeit jedoch war er völlig durcheinander. Er ging hin und her, schaute sich um, suchte nach irgendetwas Bekanntem, sah die Fenster in den kahlen Steinwänden und fand sich doch nicht zurecht.
»Ich heiße John Sinclair«, sagte ich.
Er nickte. »Ja, und wo sind wir hier?«
»In Dürnstein.«
»Wie?«
»In der Feste Dürnstein, aber tief versetzt in der Vergangenheit, mein Freund.«
Er starrte mich an, er schaute Richard Löwenherz ins Gesicht, dann schüttelte er den Kopf. »Es tut mir Leid, aber ich begreife nichts, überhaupt nichts. Können Sie mir nichts erklären?«
»Das müssten Sie übernehmen, Harold.«
Er beugte sich vor und tippte gegen seine Brust. »Ich? Um Himmels willen, was habe ich denn damit zu tun?«
»Fangen Sie von vorn an.«
»Wo denn?«
»In Dürnstein, im Urlaub, als Sie Ihrer Tochter folgten, die zur Ruine hochgegangen war.«
Quentin nickte. Er wischte über sein Gesicht und knetete das Fleisch der Wangen. »Ja«, sagte er, »ich bin ihr gefolgt, denn es wurde schon dunkel.«
»Sie trafen Ihre Tochter und den Mann mit den Rosen.«
»Stimmt. Woher wissen Sie das?«
»Egal, weiter.«
Er schaute zu Boden, als er sprach. »Ja, ich sah den älteren Mann mit den Rosen. Die Blumen faszinierten mich. Meine Tochter hatte schon daran gerochen. Sie war begeistert und bettelte mich an, es auch zu tun. Ich tat ihr den Gefallen. Ich roch, und alles wurde anders. Ich hatte plötzlich das Gefühl, ein anderer zu sein. Ich stand neben mir, ich wohnte, ich lebte in zwei Personen, und mir wurde später klar, was geschehen war. Ich habe denjenigen wieder getroffen, der ich einmal gewesen war. Der Henker. Ja, ich hatte schon einmal gelebt, als Henker im Mittelalter am Hofe eines Herzogs. In der Festung Dürnstein. Jetzt weiß ich auch, weshalb ich unbedingt dorthin wollte. Sie war die Verbindung zwischen den beiden Menschen, die zu verschiedenen Zeiten gelebt hatten. Bei mir wurde es immer schlimmer. Je mehr Zeit verging, umso stärker drängte sich die erste Person, der Henker, in mein Bewusstsein. Und er blieb auch. Wir existierten zugleich. Es gibt keine andere Lösung. Wir hingen im magischen Zeitstrom zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart fest, wobei wir häufig die Plätze tauschten. Einmal war ich der Henker in meiner Zeit, dann war ich wieder normal. Ich musste mich vor meiner Familie verstecken. Ich habe Bea erklärt, dass ich verreisen würde, tatsächlich aber verbarg ich mich im entferntesten Keller meines Hauses, den meine Frau nie betrat. Es war eine schlimme Zeit, denn ich wusste nicht mehr, wer ich war. Immer wenn ich als der Henker Goddem in meinem Keller existierte, befand sich Harold im Strom der Zeiten, gefangen in einer Magie. Aber jetzt, Mr. Sinclair, jetzt
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