0828 - Der Henker des Herzogs
beantworten, aber meine Tochter war nicht die Einzige, die hoch zur Ruine ging. Harold ist ihr gefolgt. Er wollte sie nicht allein lassen, und sie kehrten auch gemeinsam zum Hotel zurück.«
»Was geschah dort?« fragte Bill.
»Nichts, gar nichts. Es passierte erst, als wir wieder hier in London wären.« Sie brach wieder in Schweiß aus. »Da ist dann Iris zu einem kleinen Monster geworden. Da hat sich ihr Gesicht so schrecklich verändert, aber das wissen Sie ja.«
»Und Harold?«
Bea Quentin hob die Schultern. »Auch mit ihm muss etwas vorgegangen sein. Er verschwand.«
»Einfach so?«
»Ja, Bill, einfach so. Er war plötzlich weg. Als hätte er sich aufgelöst. Es gab nichts. Keinen Gruß, keinen Abschiedsbrief, einfach nur die Leere des Hauses, in dem ich nun allein lebe.«
»Haben Sie nach ihm gesucht?«
»Das habe ich nicht, weil ich voll und ganz mit dem Schicksal meiner Tochter beschäftigt war, wie Sie sich bestimmt vorstellen können. Ich – ich – bin stark gewesen, was sie betrifft, aber ich habe mich nicht mehr um Harold kümmern können.« Sie rang nach Atem und setzte sich kerzengerade hin, den Kopf angehoben, sodass sie schon steif wirkte. So schaute sie auf das gegenüberliegende Fenster.
»Seit kurzem aber glaube ich nicht mehr daran, dass Harold verschwunden ist. Ich – ich – will es einfach nicht wahrhaben. Er muss doch hier sein.«
»Im Haus?« flüsterte Sheila.
»Ich glaube ja.«
»Wieso nehmen Sie das an?« wollte Bill wissen.
»Zuerst war es nur ein Gefühl.« Bea strich durch ihr dunkles Haar, das im Nacken noch immer einen Knoten bildete. »Dann aber wurde mehr daraus. Ich kann Ihnen nicht sagen, wieso es sich zur Gewissheit auswuchs, aber auf einmal war sie vorhanden. Ich glaubte plötzlich daran, nicht mehr allein im Haus zu sein. Ich habe fest damit gerechnet, dass Harold zurückgekehrt ist oder gar nicht erst weg war.«
»Und?« fragte Bill. »Ist er hier?«
Bea musste schlucken. »Das weiß ich eben nicht genau. Ich habe mich nicht getraut, nachzusehen. Aber ich hörte Geräusche, fremde Geräusche, wobei ich nicht weiß, ob ich sie als menschlich oder unmenschlich einstufen soll. Sie waren jedenfalls vorhanden.«
»Nachgeschaut haben Sie aber nicht?«
»Nein, um Himmels willen. Ich hatte nicht den Mut dazu. Ich spürte nur, dass meine Angst wuchs und wuchs. Bis sie schließlich so stark war, dass ich mirnicht mehr zu helfen wusste und Sie beide deshalb anrief. Ich möchte Sie bitten, mich zu unterstützen. Ich fürchte mich davor, das Haus allein zu durchsuchen. Es ist ein alter Bau, dabei voll unterkellert, und ich habe Angst, diese gefährlichen und düsteren Räume allein zu betreten.«
Sheila nickte. »Das kann ich voll und ganz verstehen. Mir wäre es ebenso ergangen.«
Bill lächelte über den Tisch hinweg. »Aber zu dritt fürchten Sie sich nicht, denke ich.«
»So ist es.«
Der Reporter legte die Stirn in Falten. »Haben Sie sonst noch irgendwelche Beweise für eine Rückkehr Ihres Mannes?«
»Keine.«
»Er hat sich also nicht mehr gemeldet?«
»Richtig.«
Bill deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger zu Boden. »Und Sie gehen davon aus, dass er sein Versteck irgendwo in den düsteren Kellerräumen gefunden hat?«
»Ja.«
Der Reporter stand auf und nickte seiner Frau dabei zu. »Was soll das ganze Reden? Wir schauen am besten einmal nach.«
»Halt«, rief Bea Quentin. »Sie wollen einfach in den Keller gehen, Bill?«
»Warum nicht?«
»Aber Sie wissen doch gar nicht, was Sie erwartet…«
Conolly winkte ab. »Ich gehöre zu den Menschen, die Kummer gewöhnt sind.« Er lächelte breit. »Außerdem – so ganz wehrlos bin ich auch nicht, liebe Bea.«
Sie traute dem Braten nicht undwollte von Sheila wissen, ob das auch stimmte.
»Sie können sich darauf verlassen, was Bill sagt. So leicht sind wir nicht zu erschüttern.«
»Na ja, wenn Sie meinen…« Jetzt stand auch Bea auf. Zusammen mit Sheila ging sie auf den an der Tür wartenden Reporter zu.
»Leider kenne ich mich bei Ihnen nicht aus, Bea. Sie müssen schon die Führung übernehmen.« Bill blieb gelassen, er lächelte, er wollte die Spannung etwas von Bea fortnehmen. Wenn hier tatsächlich etwas lauerte, musste sie die Nerven bewahren.
Bea nickte und ging vor. Sie war nervös. Gespannt blieb sie im großen Flur stehen und lauschte. Auch die Conollys verhielten sich still. »Jetzt ist nichts mehr zu hören!« wisperte Bea. »Aber er ist da, ich habe mich nicht getäuscht. Er ist
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