Krieg der Ordnung
I
J usten stand auf den glatten Steinen der ältesten Pier in Nylan und sah zu, wie die Shierra ablegte und in den Kanal hinausfuhr. Die schwarzen Eisenplatten des Deckhauses und der Geschützturm funkelten im Licht der Morgensonne und die vier Spannen lange Mündung der Kanone zielte nach vorn wie ein Schwarzer Stab, der das Chaos aufspießen wollte.
Eine schmale Spur aufgeschäumten weißen Wassers folgte dem neuesten Kriegsschiff der Mächtigen Zehn, als es sich, vorbei an den beiden schmalen Wellenbrechern, die schon zur Zeit der Gründung Nylans gebaut worden waren, in den Golf von Candar schob.
Der junge Mann im Schwarz der Ingenieure fuhr sich mit einer Hand durch das kurze hellbraune Haar, bevor er sich an die drei Schüler wandte. »Wenn das Schiff hinter den Wellenbrechern ist, dann beobachtet es genau, aber nur mit den Augen.«
»Was sollen wir denn beobachten?«, wollte der schmale, rothaarige Junge wissen.
»Das Schiff, du Dummkopf«, antwortete das stämmige Mädchen.
»Warum denn?«, fragte Norah, ein zierliches blondes Mädchen mit großen Augen.
»Seht einfach zu«, wiederholte Justen.
Die Hitze, die aus dem Schornstein der Shierra aufstieg, zeichnete sich als leichtes Flimmern vor dem grünblauen Himmel im Westen ab. Auch vor dem Bug tauchten kleine Schaumkronen auf, als das Schiff seine Fahrt beschleunigte. Plötzlich aber verschwanden Schiff und Bugwelle und allein das Hitzeflimmern war noch am westlichen Himmel zu sehen.
»Was ist denn jetzt passiert?«, fragte Daskin, der Rotschopf. Verwundert fuhr er sich durch das lockige Haar.
»Der Bruder hat natürlich die Schilde eingesetzt, so wie wir es auch lernen werden.« Jyll, das stämmige Mädchen, hätte beinahe herablassend geschnaubt. Sie warf unwillig das Haar zurück.
Justen musste einen Schritt ausweichen, um nicht die langen schwarzen Strähnen ins Gesicht zu bekommen. Er hatte ihrer Behauptung, sie würden den Einsatz der Schilde lernen, nicht widersprochen, doch es würde natürlich noch Jahre dauern, bis einer der drei so weit wäre. Wenigstens nach seiner Einschätzung – aber dies war zum Glück nicht sein Problem.
»Lasst uns gehen.« Er wandte sich zum Hügel um und die drei Schüler folgten ihm; Norah, die angestrengt nach dem Hitzeflimmern Ausschau hielt, das als Einziges noch von der Shierra zu sehen war, lief hinterdrein. Ein leichter Wind, der die letzten Erinnerungen an die winterliche Kälte mit sich brachte, ließ Justens schwarzes Hemd flattern.
Als sie an der Waffenkammer vorbeikamen, trat eine schlanke rothaarige Frau heraus.
»Krytella!« Justen begrüßte die grün gekleidete Frau mit einem Winken.
»Justen, ich komme mit zum Schulhaus, falls du auch in die Richtung musst«, erwiderte Krytella lächelnd. »Weißt du zufällig, ob Gunnar irgendwo in der Nähe ist?«
»Nein, er ist oben in Landende und studiert die Aufzeichnungen der Gründer über die Veränderung.« Justen bemühte sich, möglichst unbeteiligt zu klingen. Gunnar hier, Gunnar dort. Gerade so, als wäre sein älterer Bruder der große Creslin höchstpersönlich.
»Gibt es überhaupt Aufzeichnungen, die diesen Namen verdienen?«
»Ich denke, es muss welche geben. Dorrin hat jedenfalls einiges hinterlassen.« Justen blieb vor dem langen, niedrigen Bau stehen. Das schwarze Gebäude schien beinahe mit dem grasbewachsenen Hügel zu verschmelzen.
»Aber er war doch Ingenieur.«
»Und außerdem schrieb er Die Basis der Ordnung. Den größten Teil jedenfalls.« Justen wandte sich mit einer Geste an seine drei Schüler. »Ihr könnt euch vom Früchteteller im Speisesaal nehmen. Anschließend treffen wir uns im Eckzimmer.«
»Danke, Magister Justen«, antworteten die drei im Chor.
»Ich bin kein Magister, nur eine Art Ingenieur in Ausbildung«, erwiderte Justen, aber die drei waren schon verschwunden.
»Wie kannst du dich nur dafür begeistern, diese Gören in den Grundlagen der Ordnung zu unterweisen?«, fragte Krytella.
»Warum denn nicht? Irgendjemand muss es doch tun, und …« Justen unterbrach sich, weil ihm bewusst wurde, dass Krytella ihn schon wieder mit seinem älteren Bruder verglichen hatte und der Vergleich zu seinem Nachteil ausgefallen war. Er zwang sich zu einem Lächeln und fuhr fort: »Aber jetzt sollte ich lieber nach ihnen sehen, ehe sie sämtliche Früchte verdrücken.«
»Richte Gunnar aus, dass ich mit ihm reden muss.«
»Das kann ich machen, aber wahrscheinlich wirst du ihn sogar vor mir wieder
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