0855 - Spektrum des Geistes
Dingen wie sie bist."
„Von wem sprichst du?"
„Habe ich dir noch nicht von ihr erzählt?"
Er runzelt die Stirn und schüttelt den Kopf wie über eine unerklärliche Nachlässigkeit.
Dann beginnt er mit seiner angenehmen, sonoren Stimme zu sprechen.
Er versteht es, seine Zuhörerin zu fesseln, obwohl er seine Geschichte leidenschaftslos erzählt.
„Sie war eine Gäanerin und hieß Virna Marloy. Sie war in der Raumfahrt beschäftigt, und zwar auf einem Schiff, das Flüchtlinge aus der Milchstraße in die Provcon-Faust brachte. Ihr Aufgabenbereich war deinem sehr ähnlich, Cilla, denn sie sollte die Flüchtlinge betreu-en, ihnen Mut zusprechen, wenn sie Trost brauchten, und sie schon während des Fluges an die neue Heimat gewöhnen ..."
3491: Virna Marloy 1.
Die GLUSMETH war hoffnungslos überbelegt. Virna Marloy mußte sich förmlich einen Weg durch die Flüchtlinge bahnen. Die Männer, Frauen und Kinder, ganze Familien und Sippen, füllten den Leichten Kreuzer bis zum letzten Winkel.
Virna hatte es besonders schwer, denn sie trug den Dreß einer Flüchtlingshelferin. Sie wurde von allen Seiten mit Fragen bombardiert, Arme reckten sich nach ihr, zogen sie heran.
Sind wir am Ziel? Wann endlich können wir Gäa, die neue Heimat betreten? Wie lange müssen wir noch wie die Tiere hausen? Ist mein Sohn, meine Frau, mein Mann, der oder der unter den Flüchtlingen? Wissen Sie etwas von ihm oder ihr? Wo sind wir? Sind wir vor den Laren sicher?
„Achten Sie auf die Durchsagen des Kommandanten", pflegte Virna Marloy zu antworten. „Es kann nicht mehr lange dauern, bis wir in die Dunkelwolke einfliegen."
Wie heißt die Dunkelwolke? Wo liegt sie, in der Eastside der Galaxis oder am anderen Ende - oder im Zentrum?
Fragen über Fragen, die Virna nicht beantworten durfte. Solange sie nicht in die Dunkelwolke eingeflogen waren, mußte sie Details geheim halten. Das war ein ehernes Gesetz.
Manche der Geretteten nahmen es leicht. Sie hatten auf Pankrator eine Menge durchgemacht. Von den Überschweren zu harter Zwangsarbeit getrieben. Dann der Kampf ge-gen die Unterdrücker, tagelange Belagerung, eine Zeit zwischen Hoffen und Bangen - und dann endlich Aufatmen. Die GLUSMETH brachte die kaum mehr erwartete Rettung.
Für die Flüchtlinge war es jedoch eine Reise ins Ungewisse, und je länger die Reise dauerte, desto öfter wurden unzufriedene Stimmen laut. Virna versuchte, so gut es ging, die Pioniere zu beruhigen. Manche ihrer Freunde sagten jedoch, daß sie dabei zuviel des Guten tat. In ihrer Aufopferungsbereitschaft verzehrte sie sich selbst.
Irgendwie schaffte sie es, den innersten Ringkorridor zu erreichen. In der Menschenmenge entstand eine Mauer. Ein Mann, von zwei Robotern eskortiert, tauchte auf. Virna erkannte in ihm Vic Lombard, den Ersten Offizier, und ließ sich erschöpft in seine Arme sinken.
„Platz da!" erhob Vic seine Stimme über das Stimmengewirr. „Geben Sie, den Weg frei. Ich überlasse Sie jetzt der Obhut der Roboter. Wenden Sie sich in allen Belangen an sie."
Vic ignorierte die Rufe der Flüchtlinge. Virna verstand einige der Fragen. Die Leute woll-ten wissen, ob der Flug durch die Dunkelwolke tatsächlich gefährlich war und ob man sich auf die Lotsen verlassen könne. Sie hätte gerne geantwortet, um die Leute nicht in Unge-wißheit zurückzulassen, doch Vic drängte sie weiter und bugsierte sie durch das Schott in die Kommandozentrale. Verglichen mit dem Hexenkessel auf dem Korridor herrschte hier eine geradezu heilige Stille.
„Du übernimmst dich, Virna", sagte Vic, ohne den Arm von ihrer Hüfte zu nehmen. „Du machst dich noch selbst kaputt, wenn du glaubst, dich am Schicksal eines jeden einzelnen Flüchtlings beteiligen zu müssen."
„Es geht gleich wieder", sagte sie. „Ich brauche nur eine kurze Pause, dann gehe ich wieder an meine Arbeit."
„Kommt nicht in Frage", sagte Vic entschieden. Er war ein großer, kräftiger Gäaner von 32 Jahren. Eine wahre Kämpfernatur - seinem heldenhaften Einsatz war es zu verdanken, daß während der Schlußoffensive der Überschweren auf Pankrator nicht noch mehr Un-schuldige ihr Leben lassen mußten. „Ich überlasse dich nicht wieder dieser Meute. Du bleibst in der Kommandozentrale."
„Aber ..." Sie verstummte, als sie seinem zwingenden Blick begegnete.
„Virna, warum verzettelst du dich? Warum konzentrierst du deine Gefühle nicht auf einen einzelnen Menschen? Dadurch würdest du viel mehr Wirkung erreichen, und du selbst hättest
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