0865 - Auf ewig verflucht?
übergezogen. Der Stoff war schmutzig. An ihm klebten Erde und irgendwelche Blätter. Auch hellere Staubflecken waren zu sehen. Die Gestalt bewegte ihre Arme so unregelmäßig, daß es schon nicht mehr normal war. Sie tastete sich vor, sie suchte etwas, sie hielt sich aber auf den Beinen, torkelte dann nach rechts weg, wo sich ein relativ dichter Buschgürtel ausbreitete. »Wo ist es… wo ist mein Grab…?«
Ernesto erschrak zutiefst, als er die Worte hörte. Der andere hatte von einem Grab gesprochen, das war für ihn genau zu hören gewesen. Und er suchte ein Grab - sein Grab!
Ein Toter?
Unsinn, ein Toter konnte sich nicht bewegen, aber jemand, der mit seinen Kräften am Ende war und dessen Gesicht Dorani bisher noch nicht gesehen hatte.
Das aber sollte sich ändern. Der Priester wollte es jetzt genau wissen. Er war schließlich nicht auf blauen Dunst hin in diesen Garten gegangen, er brauchte eine entscheidende Spur, die ihn möglicherweise zu den nächtlichen Besuchern hinführte.
Und so blieb er dem anderen auf den Fersen.
Da sich Ernesto Dorani zum erstenmal auf diesem Gelände befand, wunderte er sich, als er den ersten überwucherten, alten Stein sah, der aus dem Boden ragte.
Es war ein Grabstein!
Dorani schluckte. Er wischte über seine Stirn, die Hände zitterten ihm plötzlich, dann holte er durch den Mund Luft und verstand plötzlich den anderen besser, der nach dem Grab gesucht hatte.
Nach irgendeinem Grab? Nein, nach seinem.
Aber das war Unsinn, Quatsch. So etwas konnte es normalerweise nicht geben.
Dorani ging weiter. Geduckt und schleichend. Er sah den anderen genau, der ebenfalls einen Grabstein erreicht hatte und sich auf dessen Kante abstützte.
Dort blieb er für einen Moment stehen, als wollte er Kraft sammeln. Das schaffte er nicht mehr, denn plötzlich knickten nicht nur seine Arme ein, die Beine ebenfalls. Er verlor den Halt. Ein nahezu tierischer Laut drang aus seinem Mund, bevor er mit einem schweren Schlag zu Boden fiel, direkt aufs Gesicht, neben dem Grabstein, und in dieser Haltung blieb er auch liegen.
Tief atmete der junge Priester durch. Er war zunächst einmal erleichtert, gleichzeitig auch besorgt, und er wußte auch, daß er dem Mann helfen mußte, der sich überhaupt nicht mehr rührte und aussah, als wäre er durch den Fall gestorben.
Dorani lief hin.
Er fiel neben der Gestalt auf die Knie. Den eigentümlichen Geruch nahm er schon wahr, aber er kümmerte sich nicht darum. Wichtig war es jetzt, dem anderen zu helfen.
Dorani faßte nach dessen Hand. Unter dem Druck seiner Finger zerbröselte die Haut zu Staub!
***
Der junge Geistliche saß unbeweglich neben dem Toten. Er starrte auf die Reste, die einmal eine Hand gewesen waren. Er sah sie und sah sie trotzdem nicht. In seinem Kopf bewegte sich alles wie in einem Rad. Er war völlig durcheinander. Er hockte hier, und es war eine Welt zusammengebrochen. Er begriff nichts mehr. Er hatte den Mann noch vor kurzer Zeit gehen sehen, und jetzt…
Bleiche Knochen der Finger. Die Haut, das Fleisch, die Sehnen, das alles war zerbröselt und bildete eine bräunlichgraue Staubschicht auf der Erde.
Ernesto wäre am liebsten in die Höhe gesprungen und so schnell wie möglich weggerannt. Er wußte aber auch, daß man von einem Priester andere Dinge erwartete, deshalb blieb er sitzen, ohne allerdings darüber nachdenken zu können, wie es jetzt weiterging.
Wenn er etwas schräg nach links schaute, dann sah er den Kopf des Mannes. Schmutziges, klebriges Haar, das hatten viele Menschen aufzuweisen, für ihn durfte es kein Kriterium sein. Was ihm jedoch auffiel, war die Tatsache, daß der andere nicht atmete. Er rührte sich überhaupt nicht. Er lag einfach nur da.
Zögernd streckte Dorani seinen Arm aus. Er wollte mit der Hand in das Haar fassen und den Kopf anheben, falls es möglich war. Jetzt fiel ihm auch der Geruch auf, der diese Gestalt umgab. Es war ein Gestank nach alten Lumpen, fauliger Erde und Pflanzen.
Das Haar fühlte sich sehr trocken an, auch spröde. Er zog daran, weil er auch den Kopf dieser Gestalt drehen wollte. Es war nicht einfach, aber er bekam ihn in eine seitliche Lage, ohne daß er weitere Haut zerstörte.
Ein Gesicht?
Nein, es war kein Gesicht. Es war das Grauen schlechthin. Es waren nur die Teile eines Gesichts mit einer sehr dünnen, papierartigen Haut. Eine Fratze aus trockenem Fleisch, Knochen und…
Er wußte es selbst nicht und konzentrierte sich auf das, was einmal ein Mund gewesen
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