0885 - Die Kralle des Jaguars
Para-Forschern, von denen einige ohne Zweifel Scharlatane und Wichtigtuer waren, schoss der stets ein wenig verwirrt wirkende Mann aus Chicago mühelos den Vogel ab. Zamorra seufzte. Er konnte sich Schöneres vorstellen, als seinen Spinnereien zu lauschen. Er setzte abermals zu einer Absage an, immerhin bot ihm die Studentin das perfekte Alibi.
»Bitte entschuldigen Sie, aber meine…« Doch als er sich zur Seite wandte, um auf die junge Frau zu weisen, war sie fort. Offenbar verdarb Shore ihm unwissentlich die Tour. Na ja , dachte der Franzose. Dann muss ich mir für die Kleine wenigstens keine Ausrede mehr einfallen lassen.
Zamorra zögerte nur eine Sekunde: »… Partnerin Miss Duval und ich sind bereits verabredet. Vielleicht ein anderes Mal.« Er lächelte freundlich, nickte Shore aufmunternd zu und wandte sich ab, ohne auf eine Erwiderung zu warten. Das war zwar nicht gerade die feine englische Art, aber die schnellste Methode, den lästigen Kollegen abzuschütteln. Eine Notlüge eben. Zamorra war sicher, vor Shores Geschichten hätte selbst der National Enquirer kapituliert.
Wenn der liebe Gott kleine Sünden wirklich sofort bestraft, muss ich mich jetzt wohl auf einen Knall gefasst machen, dachte Zamorra ironisch, da riss es ihn auch schon von den Füßen. Mit einem schmerzhaften Plumps machte sein Gesäß Bekanntschaft mit dem harten Fußboden des mexikanischen Universitätsgebäudes.
»Ach herrje, bitte verzeihen Sie«, stammelte der ältere Herr, der den Zusammenstoß verursacht hatte und jetzt neben ihn gefallen war. Er richtete sich vorsichtig auf und reichte Zamorra die Hand, nachdem er sie an seinem Hosenbein abgewischt hatte. Zamorra erkannte ihn sofort, es handelte sich um Javier Montejo, Geschichtsprofessor dieser Hochschule und Initiator des »1. Mexikanischen Para-Kolloquiums«, also der Tagung, wegen der Zamorra überhaupt in Mexico City war. Montejo war in Eile, das ließ sich nicht verbergen. Sein Gegenüber kaum eines Blickes würdigend, strich er sich unter vielfachen Entschuldigungen die Kleidung wieder glatt.
»Ich hoffe, Sie haben sich nicht wehgetan«, sagte er.
»Nein, nein, keine Sorge.«
»Dann gestatten Sie, dass ich mich wieder auf den Weg mache? Ich muss Professor Zamorra noch erwischen, bevor er das Gebäude verlässt.«
Zamorra schmunzelte. Einer konfuser als cler andere. Ohne auf eine Antwort zu warten, ließ Montejo den Franzosen hinter sich und eilte auf die offene Tür des Hörsaals zu, in dem Zamorra noch vor wenigen Minuten seinen Vortrag gehalten hatte. Nach wenigen Schritten hielt er inne und drehte sich fragend um.
»Ach, entschuldigen Sie, haben Sie vielleicht… Oder sind Sie… O ja, ich fürchte…« Montejo wurde puterrot, als er erkannte, wen er gerade umgerannt hatte. Sich selbst am Kopf kratzend, kehrte der Dozent zu seinem. Kollegen zurück. »Das ist mir jetzt wirklich peinlich, da suche ich Sie überall, nur um Sie dann gar nicht wahrzunehmen. Bitte entschuldigen Sie, verehrter Kollege!«
»Es ist eine hektische Tagung«, sagte Zamorra amüsiert. »Da verliert man leicht mal den Überblick. Sie suchen nach mir?«
Montejos Augen blitzten nahezu auf, als er antwortete. »In der Tat. Dürfte ich Sie vielleicht um einige Minuten Ihrer kostbaren Zeit bitten? Ich garantiere Ihnen, dass es den Einsatz lohnt.«
Jetzt war es an Zamorra, verdutzt aus der Wäsche zu schauen. Hatte Shore nicht noch vor wenigen Augenblicken das Gleiche gefragt? Und ich habe ihn sträflich abgewiesen dachte er. Wie war das mit den kleinen Sünden?
»Selbstverständlich, Señor Montejo«, sagte Zamorra. »Ich war gerade auf dem Weg in die Mensa. Möchten Sie mich vielleicht begleiten?«
***
Zamorra starrte auf seinen Teller, als käme er geradewegs aus einer neu entdeckten Höllendimension. Es war einfach unglaublich: Ein paniertes Schweineschnitzel, Pommes frites und eine kleine Schüssel voller lieblos angemachten Blattsalats - so sah das Stammessen in der Mensa von Mexico City aus? Willkommen in Castrop-Rauxel!, dachte er und versuchte, den Gedanken an Madame Ciaire, ihres Zeichens Köchin auf Château Montagne, zu verdrängen.
»Stimmt etwas nicht?« Seinem Gastgeber war offenbar nicht entgangen, wie unverwandt der Franzose auf sein Mittagessen starrte. Seine Stimme klang besorgt.
»Nein, keine Sorge«, erwiderte Zamorra lächelnd und sah vom Teller auf. »Ich habe mich nur gerade gefragt, ob es wohl ein global gültiges Kochbuch für Kantinenessen gibt?« Als er Montejos
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