0897 - Monster-Maar
Symbol gebildet, sich an den Händen gefasst und einen Gesang angestimmt, der nichts ähnelte, was Astrid je zuvor gehört hatte. Es war eigentlich auch kein Gesang im klassischen Wortsinn gewesen, mehr eine scheinbar sinnlose Folge von kehlig-knurrigen Lauten. Geräusche, die zu erzeugen einer menschlichen Kehle eigentlich unmöglich sein müsste.
Und mit dem Gesang war das Licht gekommen. Mitten in ihrem Kreis, etwa anderthalb Meter über dem Boden, war ein Leuchten entstanden; erst klein wie ein Glühwürmchen, dann immer stärker wachsend, bis es die Größe eines Tennis-, dann die eines Fußballs erreicht hatte. Ein goldgelber, strahlender Ball aus Feuer, geboren aus dem Nichts, der in der Luft schwebte und waberte.
Astrid bekam allein von seinem Anblick Kopfschmerzen. Schnaufend atmete sie durch die Nase.
»Es ist Zeit.« Bauerschwans Stimme unterbrach den Gesang. Die anderen vier Mönche verstummten. »Jahrelang haben wir auf diesen Moment gewartet. Seit wir erstmals in den Schriften von dem Weg lasen - dem Weg nach Eden.«
»Eden«, wiederholten die anderen vier andächtig.
»Brüder, heute Nacht werden wir den Weg dorthin öffnen. Heute Nacht werden wir vollenden, was der Herr einst begann. Wir werden Gottes Segen über die Erde bringen und sie zu einem Ort der Harmonie und des Glücks machen. Für immer.«
»Für immer«, echoten die anderen einstimmig. Astrid sah, wie Bruder Richard unter seiner Kapuze begeistert nickte. Ein breites Lächeln zog sich über sein faltiges Gesicht. Es machte ihn dreißig Jahre jünger.
Bauerschwan warf seinen Kopf in den Nacken. Die Kapuze rutschte hinunter und Astrid konnte sein Gesicht sehen. Ein dünner Schweißfilm lag auf der Stirn des Geistlichen, und wenn er sprach, entstanden Spuckebläschen auf seinen Lippen. Bauerschwan atmete ein, schloss die Augen, und setzte abermals zu dem kehligen Gesang an. Seine Gefährten stimmten ein.
Und je länger sie sangen, desto lauter wurden ihre Stimmen.
Und je lauter sie sangen, desto mehr wuchs die Sonne. Wuchs der Feuerball, den sie sich geschaffen hatten, in der Mitte ihres magischen Kreises.
Die goldene Kugel loderte und waberte. Luft flimmerte, und eine unglaubliche Hitze machte sich im Zimmer breit. Astrid wollte wegsehen, wollte ihre Augen vor der unheimlichen Erscheinung schützen, die sie blendete. Doch es ging nicht. Unwillig und dennoch fasziniert verfolgte sie von ihrem Stuhl aus, was in der Raummitte geschah.
Und zum wiederholten Mal an diesem endlosen Tag glaubte sie ihren Augen nicht. Da… war etwas in der Sonne! In der Kugel, die doch brannte und gleißte wie das Feuer selbst. Die alles verschlingen und verzehren sollte, das ihr zu nahe kam.
Da war etwas in der Sonne - und es lebte!
***
So nah.
So unglaublich nah.
Bauerschwan konnte es spüren, riechen, nahezu mit Händen greifen. Eden war nah. Eden, Eden - Ziel ihrer Arbeit, Heim ihrer Seelen, Kern ihres Herzens, ihres Glaubens, ihres Halts. Er blickte in die Sonne, entstanden aus seiner und der Willensstärke seiner Brüder, und er erkannte das Leben.
Leben ohne Geburt. Leben ohne Zeugung. Heiliges, endloses Leben. Der letzte, endgültige Beweis für die Richtigkeit ihres Tuns. Bald war der leuchtende Ball groß genug. Bald würden die Seraphim kommen und das Land umwandeln, wie es die Schriften versprachen. Bald.
Die Sonne zischte und waberte. Die Hitze war unerträglich, und der Lärm, den der Feuerball erzeugte, verschluckte jeden anderen Laut. Es gab nichts anderes mehr, nur noch Sonne, nur noch das Ziel. Direkt vor seinen Augen. Bauerschwan öffnete den Mund und stimmte ein Hosianna an, er jubelte und pries das Geschehen in den höchsten Tönen. Seit seinen Tagen im Priesterseminar hatte der Abt nicht mehr so schön, nicht mehr so überzeugt und aufrichtig von Gottes Herrlichkeit gesungen.
Die Sonne fraß die Laute auf.
Die Hitze ließ Bauerschwans Gesicht Blasen werfen und seine wenigen, grauen Haare schmoren. Sie machte die Haut wellig, und ließ kleine Beulen aus Wasser, Schweiß und Luft entstehen. Sie platzten auf, und Hautfetzen lösten sich von dem darunter liegenden Fleisch. Die Sonne fraß auch sie, und Germut Bauerschwan sang dazu das Halleluja.
Ein heller Lichtstrahl löste sich von dem feurigen Ball und fiel durch das Butzenfenster nach draußen.
***
Der See… kochte.
Eusebius Struttenkötter glaubte seinen Augen nicht. Wo der Lichtstrahl das Wasser berührte, warf es Blasen. Es zischte laut, und Dampf stieg von der
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