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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Polizisten hob die Plexiglasschilde.
    »Wahnsinn!« murmelte Barbara. Was zum Teufel ging da vor?
    Die blonde Berichterstatterin und der Kameramann fingen sich wieder. Blondie zerrte einen Mann vor die Kamera, einen muskulösen Pakistani in den Zwanzigern, mit zerrissenem Hemdsärmel, dessen langes Haar sich aus seinem Pferdeschwanz löste. Er brüllte über die Schulter: »Mensch, laßt ihn, verdammt noch mal!«, ehe er sich der Reporterin zuwandte.
    Sie sagte: »Ich stehe hier mit Muhannad Malik, der -«
    »Wir lassen uns nicht mit Ausflüchten, Beschönigungen und Lügen abspeisen«, unterbrach der Mann sie. »Wir fordern für unsere Leute Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Wenn die Polizei nicht bereit ist, diesen Todesfall als das zu behandeln, was er ist - ein Verbrechen aus Haß, ein gemeiner Mord -, dann werden wir uns auf eigene Faust Gerechtigkeit verschaffen. Wir haben die Macht, und wir haben die Mittel.« Er drehte sich vom Mikrofon weg und rief die Menge durch einen Lautsprecher an. »Wir haben die Macht! Wir haben die Mittel!«
    Sie brüllten. Sie drängten. Die Kamera wackelte wie wild. Die Reporterin sagte: »Peter, wir müssen uns in Sicherheit bringen«, und das Bild wechselte zum Nachrichtenstudio des Senders.
    Barbara kannte den Nachrichtensprecher mit der gewichtigen Miene. Peter Soundso. Sie hatte ihn schon immer verabscheut. Sie verabscheute alle Männer mit gemeißeltem Haar.
    »Lassen Sie mich die Situation in Essex rekapitulieren«, sagte er und tat genau das, während Barbara sich eine frische Zigarette anzündete.
    Ein morgendlicher Spaziergänger, berichtete Peter, hatte in einem ehemaligen Bunker am Strand von Balford-le-Nez einen Toten entdeckt. Man hatte ihn bereits identifiziert. Es handelte sich um einen gewissen Haytham Querashi, der vor kurzem aus Karachi in Pakistan nach England gekommen war, um die Tochter eines wohlhabenden Geschäftsmanns der Stadt zu heiraten. Die kleine, aber wachsende pakistanische Gemeinde des Städtchens behauptete, es handle sich um ein rassistisch motiviertes Verbrechen - also eindeutig um einen Mord -, die Polizei jedoch hatte sich noch nicht dazu geäußert, in welcher Richtung sie ihre Ermittlungen führen würde.
    Pakistani, dachte Barbara. Pakistani. Wieder hörte sie Azhar sagen: »... ein kleinerer Aufruhr unter meinen Verwandten.« Ja. Genau. Unter seinen pakistanischen Verwandten. Ein echter Kracher war das.
    Sie starrte auf den Bildschirm, wo Peter immer noch mit monotoner Stimme quasselte, aber sie hörte ihm gar nicht zu. Sie war mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.
    Eine größere pakistanische Gemeinde außerhalb einer Großstadt war etwas so Ungewöhnliches, daß es schon ein unglaublicher Zufall wäre, wenn es an der Küste von Essex zwei solche Gemeinden gäbe. Azhar selbst hatte ihr gesagt, daß er auf dem Weg nach Essex war, um, wie er es ausdrückte, »einen kleineren Aufruhr unter seinen Verwandten« zu schlichten, und unmittelbar nach seiner Abfahrt erschien nun diese Live-Sendung, die zeigte, daß sich da ein »kleinerer Aufruhr« offensichtlich zu einem größeren Aufstand auszuwachsen drohte ... Nein, an solche Ketten von Zufällen glaubte Barbara nicht. Taymullah Azhar befand sich auf dem Weg nach Balford-le-Nez.
    Er wollte, wie er gesagt hatte, seine »Sachkenntnis in diesen Dingen« anbieten. Aber Sachkenntnis worin? Im Steinewerfen? In Demonstrationsstrategie? Oder erwartete er, sich in die Ermittlungen der zuständigen Polizei einzuschalten? Hoffte er, Zugang zur Pathologie zu erhalten? Oder hatte er vielleicht vor, sich an jener Art von Bürgeraktivismus zu beteiligen, den sie gerade im Fernsehen beobachtet hatte und der unweigerlich zu mehr Gewalt, Festnahme und Knast führte?
    »Verdammt«, brummte Barbara. Was zum Teufel dachte sich der Mann dabei? Und was fiel ihm ein, seine kleine Tochter in diesen Schlamassel hineinzuziehen?
    Barbara blickte zur Tür hinaus, auf den Weg, auf dem Hadiyyah und ihr Vater davongegangen waren. Sie dachte an Hadiyyahs strahlendes Lächeln und die Zöpfe, die ihr um den Kopf flogen, wenn sie fröhlich durch die Gegend hüpfte. Dann drückte sie ihre Zigarette aus.
    Sie ging zu ihrem Kleiderschrank und holte den Matchsack vom oberen Bord.

2
    Rachel Winfield beschloß, den Laden zehn Minuten vor der Zeit zu schließen, und hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen dabei. Ihre Mutter war um halb vier gegangen, da sie, wie jede Woche um diese Zeit, einen Termin beim Friseur hatte. Zwar hatte

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