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Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)

Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)

Titel: Der Glanz der Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Jordan
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Prolog
     
    21. November 2002
     
    Ende November macht sich leicht eine leise Melancholie breit. Der schönste Teil des Herbstes ist vorbei, die Pracht des Laubs nur noch Erinnerung, wenn der Wind an den knochendürren Ästen der Bäume rüttelt. Ob Bäume Erinnerungen haben?, überlegte Amber, als sie den Blick durch das Fenster über die Parklandschaft von Denham Place schweifen ließ. Erinnerten sie sich wie sie an die drängende Freude des Frühlings mit all seinen sprießenden Versprechen? Spürten sie im tristen Grau noch einen Nachhall der schweren, berauschenden, sinnlichen Wärme des Sommers? Ein wehmütiges Lächeln umspielte ihre Lippen, die dünner waren als zu der Zeit, da sie selbst im Sommer ihres Lebens gestanden hatte, doch das Lächeln hob immer noch ihre hohen Wangenknochen und schimmerte in der verblassten Schönheit ihrer Augen. Ihr Frühling und Sommer waren längst vergangen, und auch der Herbst mit seinen reichen Farben, kraftvoll wie ihre geliebten Seidenstoffe.
    Jetzt hatte der Winter sie im Griff, kahl und manchmal öde, aber immer noch schön.
    In der Nacht hatte es Frost gegeben. Er hatte sich auf den Rasen gelegt, sodass sich die Spuren der Muntjakhirsche abzeichneten, die ihre Großmutter nach Denham Place gebracht hatte. Sie hatte kürzlich von Blanche geträumt und von all den anderen Frauen, die, wie sie wusste, auf sie warteten. Die Zeit verstrich jetzt so langsam, sie konnte es kaum noch erwarten, wieder mit ihnen zusammen zu sein.
    Doch nicht heute.
    »Wirst du heute wirklich neunzig Jahre alt?«
    Bei der ernsten Frage ihres drittjüngsten Ururenkels lächelte sie und legte ihm die Hand auf den dunklen Schopf.
    »Ja«, erklärte sie ihm. »Das werde ich tatsächlich.«
    »Harry! Es tut mir leid, Urgroßmama. Er hat dich doch nicht geweckt, oder?«
    »Nein, meine Liebe. Mach dir keine Sorgen.«
    Die junge Frau – die Frau von einem von Ambers Urenkeln – wirkte zermürbt und angespannt. Amber hatte Mitleid mit ihr. Sie hatten es nicht leicht, die jungen Frauen in dieser modernen Zeit.
    Amber hatte fast ein ganzes Jahrhundert gelebt, eine Zeit vieler Veränderungen und großer Umbrüche. War der angeheirateten Urenkelin, die sich über die Anforderungen beklagte, die die politische Karriere ihres Mannes an sie stellte, überhaupt klar, dass man Frauen zu der Zeit, da Amber zur Welt gekommen war, nicht einmal das Wahlrecht zugestanden hatte? Interessierte es sie? Würde es Amber an ihrer Stelle interessieren?
    Neunzig Jahre. Eine Ewigkeit. Amber hatte jedenfalls den Verdacht, dass viele ihrer Verwandten, die heute hergekommen waren, um den Tag mit ihr zu feiern, so dachten.
    Doch für sie war es in gewisser Weise kaum mehr als ein kleiner Seufzer, ein einziger Atemzug im Herzschlag der Zeit.
    Das Leben war nicht mehr als eine schlaue Illusion aus Rauch und Spiegeln, die jetzt, in diesem Stadium ihres Lebens, so durchscheinend geworden waren, dass Amber nur den Schleier beseitezuziehen brauchte, um Zugang zu finden zu ihrer Vergangenheit und jenen, mit denen sie sie geteilt hatte. Ihre Erinnerungen waren längst nicht mehr nur Schatten in ihren Träumen. Sie waren so real wie sie selbst, teilten ihre Freude an dem, was sie mit erschaffen hatte. Sie hörte das dröhnende Lachen ihres Vaters und spürte die gewaltige glückliche Umarmung, mit der er seine Urururenkelkinder an sich drücken würde.
    Amber hatte darum gebeten, dass man ihren Stuhl so aufstellte, dass sie sowohl den Raum überblicken als auch aus dem Fenster schauen konnte, damit sie beides sehen konnte, die Vergangenheit und die Gegenwart.
    Sie hatte Denham Place stets geliebt, und das Haus erwiderte diese Liebe. Sie teilten Geheimnisse, die nur sie allein kannten.
    Als wäre sie im Zimmer anwesend, meinte Amber die eisige Missbilligung ihrer Großmutter zu spüren, deren Perlenkette jetzt den schlanken Hals ihrer ältesten Urenkelin Natasha schmückte. Amber hatte sie ihr auch deswegen gegeben, weil sie sie so sehr an Blanche erinnerte. Äußerlich mochte Natasha Blanche ähneln, doch ihr Naturell war vollkommen anders, und mit einem Schaudern betete Amber, dass auch ihr Leben anders verlaufen möge als das von Blanche.
    So viele Erinnerungen – an Dinge, die ihr große Freude bereitet hatten, und an andere, die ihr unerträglichen Schmerz zugefügt hatten, doch alle auf ihre Art kostbar.
    Es war ein heller Novembertag, erfüllt von grellem Sonnenschein, wie ihn der Spätherbst manchmal mit sich bringt. Der Kuchen war

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