09-Die Pfade des Schicksals
wusste, wie die Gesellschaft gerettet werden konnte. Und er vergaß die Dämondim-Abkömmlinge nicht, die sich weiter danach sehnten, ihren instinktiven Selbsthass zu kompensieren.
Jeder, der in Lindens Namen - oder dem des Landes - so weit vorgedrungen war, hatte eine Rolle zu spielen. Sogar Esmer konnte vielleicht noch die Kraft aufbringen, statt Kastenessens Lakai der Sohn seines Vaters zu sein. Selbst Covenant…
Er hätte viel dafür gegeben, das auch von Roger glauben zu können. Aber Roger war der Sohn seiner Mutter, nicht der seines Vaters, und Joan hatte ihren Weg ins Verderben schon vor langem gewählt. Wie Elena konnte sie dem, wozu sie sich selbst gemacht hatte, nur mehr durch den Tod entrinnen.
Covenant war aus dem Bogen der Zeit geholt worden. Die Verantwortung für den Bogen war ihm abgenommen worden. Aber Joan und Roger existierten weiter. Sie waren die Last, die er zu tragen hatte.
Deshalb musste auch er überleben.
Sie, die nicht genannt werden darf, hatte nicht die Absicht, auch nur eines ihrer Opfer leben zu lassen. Esmer würde es zweifellos schaffen, ihrer Gier zu entkommen. Auch der Croyel würde es bestimmt versuchen, wobei er Jeremiah mitnehmen würde. Und die Urbösen und Wegwahrer konnten es vielleicht schaffen, ihrer Vernichtung zu entgehen. Aber alle anderen …
Durch Esmers Verrat gehörten nun auch sie zu Covenants Last. Und Covenant liebte Linden. Auf unterschiedliche Weise liebte er alle ihre Freunde und Begleiter - sogar die Meister, die sich selbst bis an den Rand der Vernichtung des Landes irregeführt hatten. Es gab sonst niemanden, der sie hätte retten können.
Aber er fand sich nicht zurecht.
Als er seine Umstände näher betrachtete, begann er jedoch zu glauben, er sei nicht völlig hilflos. Verrat hatte fast erklärtermaßen Schwachstellen. Das galt auch für Esmers.
Die Gedemütigten hatten Covenant Vitrim eingeflößt, und diese moderige Flüssigkeit hatte unnatürliche Ähnlichkeit mit Heilerde. Sie imitierte die überlegene Heilkraft dieser Erde zumindest teilweise.
In Andelain war ihm Heilerde angeboten worden, aber er hatte sie abgelehnt. Er hatte auf Lepra und Gefühllosigkeit bestanden. Sie macht mich nicht nur zu dem, wer ich bin. Sie macht aus mir, wer ich sein kann.
Jetzt stachelten der Modergeschmack und die Energie von Vitrim ihn dazu an, er selbst zu sein: ein leprakranker Paria, der gar nicht daran dachte, dem Verächter zu gehorchen. Weil es ein künstliches Elixier war, konnte es seine Nerven nicht wiederbeleben. Aber es machte ihn stärker …
Und es gab noch eine weitere Schwachstelle.
Esmers Wirkung auf ihn hatte keine Ähnlichkeit mit der Starre, die die Elohim einst gegen ihn eingesetzt hatten. Die Elohim hatten ihn von Verstand und Gefühl, von jeder Art Reaktion getrennt. Esmer hatte ihn nur aus dem Gleichgewicht gebracht, ihn in das Labyrinth aus fragmentierter Zeit gestoßen. Er konnte weiter denken und fühlen und streben. In dieser Beziehung war er nur verwirrt, nicht hilflos. Und was verloren werden konnte, ließ sich auch wieder finden.
Stieg er hoch genug und nutzte seine Erinnerungen richtig, konnte er vielleicht durch eigene Anstrengung in seine physische Gegenwart zurückkehren.
Wenn Esmer ihn nicht wieder herunterholte.
Wenn.
Er musste es versuchen. Das Übel kam näher. Nach unzähligen Jahrtausenden im Bogen geriet Covenant in Zeitnot.
Sie, die nicht genannt werden darf, erhob sich wie ein Scheiterhäufen aus dem Flammenmeer. Sogar aus der Entfernung schien sie die Gesellschaft zu überragen. Obwohl Esmer sich alle Mühe gab, das Felsband zu stabilisieren, ließ ihr Zorn es erzittern. Aus keinem erkennbaren Grund, außer dass sie Riesinnen und tapfer waren, standen außer Raureif Kaltgischt alle Riesinnen mit gezückten Schwertern am Rand des Felsbands. Sie mussten wissen, dass keine gewöhnliche Waffe ihre Feindin verwunden konnte; trotzdem stellten sie sich ihr entgegen, weil sie sich weigerten, ihre Niederlage einzugestehen.
In dieser Beziehung hätten sie Salzherz Schaumfolgers Töchter sein können.
Hinter ihnen trug Raureif Kaltgischt weiter Jeremiah auf dem Arm und hielt mit der anderen Hand dem Croyel den Krill an die Kehle. Trotz der fast körperlich spürbaren Wildheit des Übels starrten Jeremiahs trübe Augen ins Leere. Aus einem Mundwinkel lief ihm ein Speichelfaden. Aber der Croyel hatte sein grausames Grinsen eingebüßt. Das Ungeheuer grub seine Krallen noch tiefer ins Fleisch des Jungen und schien sich
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