09-Die Pfade des Schicksals
schäumende Fluten in Brand, als wären sie in Öl verwandelt worden. Wasser, das gegen Wände und Stalagmiten brandete, erzeugte feurige Spritzer, die fast die beschädigte Höhlendecke erreichten.
Stimmen riefen nach Linden, aber sie sagten ihr nichts. Erschöpft und in unerträglichen Qualen ergab sie sich endlich der Lähmung, vor der sie ihr Leben lang geflüchtet war: der Hilflosigkeit, die das unentrinnbare Verhängnis ihrer Eltern gewesen war; aus der Linden vor zehn Jahren Covenants Ermordung zugelassen und die sie dem Wüterich Turiya ausgeliefert hatte.
Aas.
Als das Übel sich zwischen der Gesellschaft und dem Ende der Höhle aus den brennenden Fluten erhob, sank Linden auf die Knie. Tief in ihrem Inneren kapitulierte etwas Wesentliches.
12
Sie, die nicht genannt werden darf
W ie ein Gespenst hielt Thomas Covenant sich in verschiedenen Realitäten gleichzeitig auf, ohne sich auf irgendeine auszuwirken.
In einer Realität sah er alles, was um ihn herum geschah. Er beobachtete alle Ereignisse von dem Augenblick an, in dem Esmer seine Stirn berührt hatte, bis zu dem, als er neben der auf die Knie gesunkenen Linden stehend über das tosende Flammenmeer hinweg Sie, die nicht genannt werden darf, betrachtete. Er fühlte alles, fürchtete alles. Aber er besaß keinen Willen, keine Macht, etwas zu unternehmen. Er konnte nichts tun, um seinen Gefährten zu helfen. Er konnte nur mitfühlen und trauern und schweigend stöhnen und sich ängstigen. In dieser Dimension befand der Teil seines Ichs, der Entscheidungen traf, sich außer Reichweite.
Covenant wanderte in seinen Erinnerungen an andere Orte, wo nichts von ihm verlangt wurde, weil alles längst passiert war. Vielleicht war es nützlich, sich diese Menschen und Orte und Taten in Erinnerung zu rufen; vielleicht auch nicht. Aber dort wurde er nicht gebraucht. Er war lediglich ein Zuschauer, unwirklich wie ein Traumbild, zwischen den Fragmenten und Trümmern vergangener Dinge, zerstörter Zeiträume. Und weil seine Erinnerungen bruchstückhaft waren, wusste er nicht, wie er sich in ihnen zurechtfinden sollte. Ihre Reihenfolge stimmte nicht mehr; sie konnten ihn nicht zu sich selbst zurückführen.
Esmer hatte ihn in ein Reich aus Verwirrung und widersprüchlichem Wissen versetzt, in dem jede Regung seines Herzens durchkreuzt wurde. Statt auf die Notlage der Gesellschaft, die schreckliche Sintflut, die Linden in der Höhle ausgelöst hatte, oder ihr abschließendes Versagen angesichts des wieder aufgetauchten Übels zu reagieren, hing Covenant Erinnerungen nach.
Als die Gesellschaft zuvor aus der Verlorenen Tiefe geflüchtet war, hatte er davon gesprochen, dass die Urbösen ihr Wyrd vor Jahrtausenden umgedeutet hatten. Die Dämondim waren nicht dumm gewesen; sie hatten auch die Urbösen nicht dumm geschaffen. Sogar die Wegwahrer - durch Unfälle oder Fehlschläge bei Zuchtversuchen entstanden - konnten logisch denken und waren lehrenkundig, zu abstrakten Schlussfolgerungen imstande. Ihre schwarzen Vettern waren für den verächtlichen Gebrauch, den Lord Foul von ihnen gemacht hatte, viel zu intelligent gewesen.
Ihr Wyrd, wie sie es anfangs aufgefasst hatten, drückte ihren Selbsthass aus: Lieber das Ende aller Dinge propagieren und so sterben, als verunstaltet und verächtlich auf einer für Schönheit bestimmten Welt leben. Erst als Tausende von ihnen in den Kriegen des Verächters gefallen waren, hatten die Urbösen erkannt, dass die Logik ihres Dienens nur zu einer Schlussfolgerung führen konnte. Aber in dem Kampf vor den Toren von Herrenhöh hatten die Wegwahrer durch Einsatz und Tapferkeit bewiesen, dass es auch andere Möglichkeiten gab. So hatten die Wegwahrer die Urbösen angestoßen, sich selbst infrage zu stellen.
Deshalb hatten die schwarzen Dämondim-Abkömmlinge sich nach der Niederlage Lord Fouls in die Verlorene Tiefe zurückgezogen, um in ihrem Lehrenwissen und ihren ältesten Sagen eine Antwort auf die durch die Wegwahrer verkörperte Herausforderung zu finden. Jenseits der unauslöschlichen Verdienste der Gräuelinger hatten die Urbösen die Geschichte ihrer Vorfahren erforscht, bis zu der Ära erforscht, in der die Gräuelinger das Wagnis überquert hatten und in die Fänge der Wüteriche geraten waren.
In der Verlorenen Tiefe hatten die Wunder alter Lehre die Urbösen daran erinnert, dass sie von Wesen abstammten, die nicht von Selbsthass beherrscht gewesen waren. Dort entdeckten sie auch, dass ihre frühesten Vorfahren Wahrheiten
Weitere Kostenlose Bücher