09-Die Pfade des Schicksals
Gedemütigten blieben bei Covenant zurück.
»Dem Schöpfer wäre es zweifellos möglich gewesen«, fuhr Infelizitas fort, »innerhalb des Bogens der Zeit beliebig viele Himmel und Erden zu erschaffen. Aber er konnte sich keine lebendige Welt vorstellen, die kein Mittel enthielt, um ihren eigenen Untergang zu bewirken.«
Infelizitas’ Blick wanderte zu dem Egger und glühte nun vor Zorn. »Dieser schamlose Insequente dort drüben beweist, wie töricht seine Gier ist. Er stellt sich vor, wie er mit Hilfe von Erdkraft und wilder Magie die Schlange vernichtet und so den Fortbestand der Erde sichert. Aber mit der Schlange würde auch alles Leben vergehen. Ihre Macht kann nicht bekämpft werden, ohne völliges Chaos auszulösen. Solange unsere Erde besteht, ist die Schlange nützlich. Der Egger träumt von Ruhm, aber er wird nur die eigene Vernichtung ernten.«
Der Egger lachte erneut, volltönend diesmal und frei von Heiterkeit. »Du verkennst mich, Elohim«, sagte er. »Aber so begegnest du uns Insequenten schon seit undenklichen Zeiten. Ich bin keine Weißgoldträgerin, gefangen in einem Sumpf aus Unwissenheit und fehlgeleiteter Liebe. Ich habe andere Wünsche, andere Ziele, die über derartigen Egoismus weit hinausgehen.«
Die Feindseligkeit zwischen dem Insequenten und der Elohim interessierte Linden nicht, denn sie konnte ihr nicht nützen. Aber noch ehe sie intervenieren konnte, wandte sich Stave an Infelizitas: »Wie kommt es dann, dass die Elohim keinen Tod kennen? Wieso ist euch die Hoffnung und der Untergang alles anderen Lebens erspart geblieben? Ich kann keine Verdienste entdecken, die es rechtfertigen würden, dass es für euch keinen Tod gibt.«
»Erbärmlicher Wicht!«, fauchte Infelizitas. »Wie kannst du es wagen, das zu behaupten? Wir Elohim lassen uns nicht von deinesgleichen beleidigen!«
Als ihr Blick auf Linden fiel, zügelte Infelizitas ihren Zorn, als hätte Linden eine gewisse Gewalt über sie - einen Einfluss oder eine Bedeutung, die Linden selbst nicht enträtseln konnte.
Mit gepresster Stimme erklärte Infelizitas: »Wir Elohim unterliegen nicht dem Tod, weil unser Lebenszweck unsterblich ist. Wir pflanzen uns nicht fort, verändern uns nicht und sterben auch nicht, weil wir als Aufseher der Schlange erschaffen wurden. Von Zeit zu Zeit haben wir bei Gefahren für das Leben auf oder in der Erde eingegriffen. Aber unsere wahre Bestimmung, unser Wyrd, erfordert, dass wir den Schlaf der Schlange behüten.
Du musst verstehen, Weißgoldträgerin, dass wir nicht die Macht haben, diesen Schlaf zu erzwingen. Unsere Aufgabe ist es, zu beschwichtigen und zu befrieden. So dienen wir durch unsere bloße Existenz allen niederen Lebensformen der Erde.
Wenn wir gegen Unrecht wie die Skurj oder die Dezimierung des Einholzwalds einschritten, achteten wir darauf, so zu handeln, dass die Schlange nicht in ihrem Schlaf gestört wird. Und wenn wir zuließen, dass aus unserem Wesen Autoritäten wie die Forsthüter oder der Koloss am Wasserfall geschaffen wurden, stärkten wir zugleich die Vitalität des Einholzbaums, damit wir in Frieden gelassen werden.« Während sie sprach, schienen ihre Worte die hoch aufragenden Bäume, die tiefe Nacht und das Licht des Krill mehr und mehr zu einer Elegie zu verweben - zart wie Silberglöckchen und voller Traurigkeit. »Unser Zweck ist Frieden, der zugleich Mittel und Ergebnis unserer Selbstbetrachtung ist. Die Forsthüter - und andere - sind unsere Stellvertreter, ebenso wie wir Stellvertreter des Schöpfers sind. Sie dienen an unserer Stelle als Wall und Bastion des Schöpfers und bewahren das Leben, das strebt und lebt, während wir die Erde bewahren.«
Die Elegie wurde zu einem Klagelied und pulsierte nun vor Bitterkeit.
»Trotzdem erzählen selbst solche Opfer nicht die ganze Geschichte unseres Wertes für die Erde. Den Einholzbaum habe ich schon genannt. Unter Verzicht auf friedfertige Träume von uns selbst haben wir uns bemüht, alle Gefahren für dem Baum abzuwehren - denn in dem gleichen Maße, in dem die Schlange den Tod bewirkt, erhält er das Leben. Und so begann der wahre Niedergang der Erde in dem Augenblick, in dem ein Insequenter zum Wächter des Einholzbaumes wurde. Der Listenreichtum des Theomach war groß, aber sein viel gerühmtes Wissen hat für diese Last nicht ausgereicht. Obwohl er den Tod des Theomach bewirkte, reichten auch Kraft und Tapferkeit des Haruchai Brinn nicht aus. Solche Taten haben die Heiligkeit des Einholzbaumes verringert -
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