0900 - Der Magier
geboren war, der kannte die massiven Attacken des Sternes, der konnte damit umgehen. Und Eupha liebte diese sengende Hitze sehr - jedoch nur dann, wenn kein Stofffetzen zwischen ihrer Haut und der Sonne war.
Wie ein verspieltes Kind rollte sie sich im Sand umher, formte mit ihrem Körper Figuren auf dem Dach der Düne, einen Himmelsdrachen, die Umrisse des Palastes ihres Großvaters. Ein geflügeltes Wesen, das es nur in ihrer Phantasie gab. Sie fühlte sich herrlich frei und ungezwungen.
Wie viel Zeit so vergangen war, konnte Eupha nicht sagen, es war ihr auch gleichgültig, ob man im Palast vielleicht auf sie wartete. Erst das leise Schnauben ihres Reittiers ließ sie hochschrecken. Sie griff nach ihrer Toga, die immer noch feucht war.
Eupha spähte über die Kuppe der Düne hinaus. Ein Reiter. Sie konnte nicht ausmachen, ob es sich um einen Boten des Palastes handelte, doch es war davon auszugehen, dass man sie schon suchte. Sie hasste diese Kontrollen so sehr. Und nicht zum ersten Mal wünschte sie sich jetzt, ein ganz normales junges Mädchen dieser Welt sein zu dürfen.
Doch wieder musste sie sich sagen, dass dem nicht so war. Sie war nun einmal etwas Besonderes.
Der Reiter kam schnell näher, ganz erstaunlich schnell sogar. Sein Pferd musste einer edlen Linie entsprungen sein. Eupha handelte schnell. Ihre Hände beschworen den Sand zu ihren Füßen - und der reagierte sofort. Fontänen stiegen in die Luft, bildeten einen Vorhang direkt vor der jungen Frau. Es war nicht schwer für Eupha diesen luftigen Vorhang in eine eisenharte Mauer zu verwandeln.
Euphas Fähigkeiten als Sandformerin hatte selbst ihren Großvater immer in Erstaunen versetzt - für ihr Alter war sie schon gut, sehr gut sogar. Euphas ganze Welt war Sand, das Material, das jeder aus ihrem Volk mehr oder weniger perfekt beherrschte. Die Sandformer nutzten diese Kräfte, um hier überhaupt existieren zu können.
Und ihr Großvater - der König - war der wahre Meister darin.
Eupha war sicher, nun völlig ungestört zu sein. Zumindest so lange, bis der Reiter den Kamm erklommen hatte. In aller Ruhe zog sie ihre Toga an. Vielleicht war der Ankömmling ja auch einer ihrer zahllosen Freier, der ihr unbemerkt gefolgt war. Die junge Frau lächelte spitzbübisch. Die Burschen hatten es heftig auf sie abgesehen. Die Gründe lagen auf der Hand, denn die Enkelin des Königs war eine vortreffliche Partie… und wenn die dazu noch durchaus ansehnlich war - so wie bei Eupha der Fall -, dann gab es für viele da kein Halten mehr.
Das große Hindernis, das beiseite geräumt werden musste, hieß allerdings König Neth, denn der achtete mit strengem Blick auf jedes männliche Wesen, das sich seiner Enkelin auf Armweite näherte. Neth vergötterte seine Enkelin, also fuhr er bei jedem Annäherungsversuch dazwischen wie ein Sandorkan.
Eupha ließ die Sandmauer in sich zusammenfallen. Der Reiter war nur noch gut 100 Fuß von ihr entfernt, und nun erkannte sie den Mann natürlich sofort. König Neth persönlich!
Natürlich, nur der Großvater hatte ahnen können, wohin Eupha sich geflüchtet hatte, denn mit ihm war sie als Kind so oft hier gewesen. Neth zügelte sein Reittier, saß aber nicht ab.
Mit strengem Blick musterte sein Enkelkind.
»Der halbe Palast sucht dich. Und die andere Hälfte verflucht deine Eigensinnigkeit.«
Eupha trat nah an das Reittier heran. »Ich bin alleine hier. Was gibt es daran auszusetzen? Oder glaubst du, ich hätte eine Handvoll Freier hier im Sand vergraben, damit du sie nicht sehen kannst?«
Das freche Grinsen Euphas verfehlte bei Neth nie seinen Zweck. Der alte König lachte schallend auf. Die Vorstellung hatte etwas für sich. Viel schneller als gewöhnlich wurde der König jedoch wieder ernst.
»Komm, Eupha, wir müssen zurück zum Palast. Die Familie muss sich versammeln, denn es droht Gefahr.«
Eupha zog die Augenbrauen fragend nach oben. Gefahr? Welcher Art sollte die denn wohl sein? Es gab schon lange keine Bruderkriege beim Sandvolk mehr - und eine fremde Gefahr? Die hätte aus einer anderen Welt stammen müssen. In dieser fühlte Eupha sich vollkommen sicher.
Ehe Eupha jedoch fragen konnte, was ihr Großvater wohl meinen konnte, kam König Neth ihr zuvor.
»Steig auf dein Reittier und folge mir rasch nach. Es ist das Eis. Das Eis der Welt schmilzt.« Wortlos wendete er sein Reittier und preschte die Düne hinunter.
Eupha stand sprachlos am Fleck. Es war nicht möglich, es konnte nicht sein. Das Eis? Die
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