091 - Die Bräute des Henkers
dringend brauchen würde; und es war ihr nicht möglich, sie unbegrenzt oder beliebig oft anzuwenden; sie zehrte an ihrer Substanz.
Coco eilte in den rechten Seitentrakt, als sie eine dunkle Gestalt im Korridor stehen sah. Es war der Mitternachtshenker, Marquis Charles-Henri de Calmont. Er hielt sein Richtbeil mit der breiten, gerundeten Schneide in der Hand, und die Laterne stand neben ihm. Er rührte sich nicht von der Stelle, auch nicht, als Coco langsam näher trat. Sie erkannte, daß er auf magische Weise gebannt war. Die Dämonen wollten nicht gestört werden, und so hatten sie den Mitternachtshenker außer Gefecht gesetzt.
Coco spürte die dämonischen Ausstrahlungen nun so stark, daß ihr beinahe übel wurde. Sie zwang sich, weiterzugehen. Ein Stein fiel ihr vom Herzen, als sie in den Zimmern immer noch die Stimmen der Dämonen und der jungen Frauen vernahm.
Die Dämonen erzählten scheußliche Sachen, und die Mädchen lachten dazu, als wären es Komplimente oder höchst angenehme Schilderungen. Kalte Wut stieg in Coco hoch. Sie mußte sich sehr zusammenreißen.
Coco begab sich auch in den linken Seitentrakt, wo die Räume der Dienerschaft lagen. Sie schaute in ein paar Zimmer und fand lauter Schlafende. Aber es war kein natürlicher Schlaf. Schwarze Magie hatte die Bediensteten außer Gefecht gesetzt, damit sie das Treiben der Dämonen nicht störten. Coco kehrte zu den Räumen Georgettes zurück. Gerade als sie die Tür öffnete, klopfte es am Schlafzimmerfenster. Coco bedeutete Pierre, still zu sein. Sie betrat das Schlafzimmer und löschte das Licht. Der Fensterladen war offen, aber die Stores waren zugezogen.
„Georgette?" rief eine leise Stimme. „Ich bin es, Dorian!"
Coco zog die Vorhänge auf und öffnete das Fenster. Dorian Hunter konnte ihr Gesicht nicht erkennen, weil es zu dunkel war. Der Wind blies eiskalt herein.- Das unheimliche dämonische Heulen erfüllte die Nacht.
Dorian Hunter kletterte eilig ins Zimmer.
„Georgette", sagte er und wollte Coco in die Arme schließen. „Ich bin etwas früher gekommen. Es geht um sehr wichtige Dinge."
„Hier ist keine Georgette, du Casanova", fauchte Coco ihn an. „Kannst du mir erklären, was du hier zu suchen hast?"
„Coco?" Dorian Hunter fiel aus allen Wolken. „Wie kommst denn du hierher?"
„Durch einen Hinweis von Phillip." Coco nahm die Zündhölzer von der Nachttischschublade und entzündete die Petroleumlampe wieder. „Also, ich erwarte deine Erklärung."
„Ich brauchte Hinweise von Georgette", sagte Dorian Hunter. „Sag mal, soll das ein Verhör sein?" „Ach, du kommst also mitten in der Nacht in ihr Schlafzimmer, um dir Hinweise von ihr geben zu lassen? Sag mal, glaubst du eigentlich, ich hätte Gehirnerweichung bekommen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?"
Coco hatte eigentlich nicht so mit Dorian reden wollen. Dorian mochte diesen Tonfall nicht und kam seinerseits in Rage.
„Mach doch nicht so eine Affäre aus einer Kleinigkeit, die überhaupt nichts zu bedeuten hat! Zwischen mir und Georgette war überhaupt nichts, wenn dich das beruhigt. Es geht um viel wichtigere Dinge. Erzähl mir lieber, was du hier treibst."
„Ich bin hergekommen, weil du Tirso in eine Sache hineinziehen willst, der er seelisch nicht gewachsen ist. Er mag anders aussehen als andere Kinder, aber für mich ist er ein Kind. Er darf nicht mit den Schrecken des Kampfes gegen die Dämonen konfrontiert werden."
„Ich will Tirso nicht schaden, aber ich brauche seine Hilfe. Tut mir leid, Coco, aber es geht nicht anders."
„Ich habe kein Verständnis für deinen Standpunkt, Dorian. Ich will Tirso haben. Der Junge muß aus der Sache herausgehalten werden."
„Die Angelegenheit ist zu wichtig. Du hast keine Ahnung, worum es eigentlich geht."
„Dann sag es mir doch!"
„Luguri soll wiedererweckt werden, der Erzdämon. Der große Gegenspieler des Hermes Trismegistos in uralten Zeiten. Sein Grab befindet sich hier irgendwo auf der Insel, ich weiß nur nicht, wo. Ich muß es finden, sonst geschieht etwas Furchtbares, und eine Epoche des Grauens beginnt."
Coco schlug die Hand vor den Mund. Sie war in einer Dämonenfamilie aufgewachsen und hatte den Namen Luguri manchmal raunen hören. Er galt als der sagenhafte Urvater der Schwarzen Magie, als der furchtbarste, böseste und grauenhafteste Dämon, der je gelebt hatte. Luguri, das war ein Name, mit dem die Dämonen ihre Kinder schreckten.
Coco begriff nun die Zusammenhänge. Phillips wirre
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