091 - Die Bräute des Henkers
Nacht. Um halb elf wollte sie Georgette aufsuchen, dann Solange de Bloissy. Danach mußte sie Pierre im Wintergarten treffen, und um halb zwei war Dorian Hunter an der Reihe. Es war gut möglich, daß sie mit ihm gleich zu dem unheimlichen Hügel mußte.
Coco seufzte und setzte sich auf den zierlichen Rokokostuhl. Sie betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Coco war schön, wenn sie auch - überkritisch wie sie war - manche Mängel bei sich bemerkte oder zu bemerken glaubte. Ganz zufrieden mit sich konnten eben nur unerträglich eingebildete Typen sein.
Coco überlegte, daß sie eigentlich auch ein relativ einfaches und glückliches Leben hätte führen können, irgendwo mit einem Mann, den sie liebte, und Kindern. Manchmal sehnte sie sich danach, und sie fragte sich dann, ob sie nicht den Sinn ihres Lebens verfehlte. Aber jedes Menschen Schicksal war wohl vorherbestimmt. Und ihr Schicksal war der Kampf gegen die Dämonen und die Mächte des Bösen. Diesem Schicksal konnte sie nicht entrinnen.
Coco hatte an diesem Tag ihre modernen Kleidungsstücke abgeben müssen und andere erhalten.
Am nächsten Tag sollte die Schneiderin einige Änderungen an den Kleidern vornehmen. Coco zog einen dunklen Reitanzug an. Er hatte große Jackentaschen, was sie sehr praktisch fand. Sie steckte ein paar Dämonenbanner ein und für alle Fälle die kleine .32er Damenpistole mit dem perlmutteingelegten Griff und drei Reservemagazine. Gegen Dämonen half sie nicht, aber der Graf und seine Bediensteten waren auch noch mit im Spiel.
Kurz vor halb elf verließ Coco ihr Zimmer, die Stabtaschenlampe in der Rechten. Sie wußte inzwischen, wo Georgette und all die anderen Mädchen ihre Zimmer hatten. Georgettes Räume befanden sich im Haupttrakt neben denen des Grafen.
Coco huschte über die spärlich erleuchteten, mit Teppichen belegten Gänge.
Georgettes Tür war nicht abgeschlossen. Die Grafentochter bewohnte drei Zimmer. Ihr Schlafzimmer und das Bad hatten Fenster nach draußen.
Coco fand Georgette im Salon. Sie trug ein rosa-orangefarbenes Kleid, das die Schultern entblößte. In ein paar Leuchtern brannten Kerzen.
„Was wollen Sie?" fragte Georgette.
Coco trat zu ihr und sah ihr in die Augen. Georgette war keine Persönlichkeit, die ihren Hypnosekräften lange Widerstand leisten konnte. Bei Dorian Hunter zum Beispiel schaffte Coco es nicht, ihn zu hypnotisieren, wenn er seine ganze Willenskraft aufbot. Aber Georgette war ein leichtes Opfer. „Du wirst dich auf mein Zimmer begeben, das Licht löschen und dich ins Bett legen und schlafen, bis ich dich wecke!" sagte Coco. „Du bist sehr, sehr müde. Du weißt von nichts."
Georgette nickte in Trance.
„Folge mir!" sagte Coco.
Sie blies die Kerzen aus, führte Georgette aus dem Salon und brachte sie auf ihr Zimmer, wo sie das Mädchen allein ließ. Dann suchte sie Solanges Zimmer auf. Sie wollte gerade klopfen, da hörte sie drinnen Geräusche und die Stimme eines Mannes. Und im gleichen Moment spürte sie eine starke dämonische Ausstrahlung.
„Solange", sagte die Männerstimme, „komm in meine Arme! Schöne Solange!"
„Ich kenne Sie doch gar nicht", girrte Solange. „Wie sind Sie überhaupt hier hereingekommen? Sie waren plötzlich da - wie aus dem Nichts erschienen."
„Frag nicht lange, schöne Solange!" sagte der Dämon mit einschmeichelnder Stimme. „Genieße den Augenblick!"
„Ich soll heute abend noch Besuch von einer Freundin erhalten", sagte Solange, und man merkte, wie ihr Widerstand dahinschmolz.
„Mach dir deswegen keine Sorgen! Deine Freundinnen haben Besuch bekommen, genau wie du. Sie verlassen ihre Zimmer nicht, bis wir dann einen Spaziergang machen. Aber das hat noch Zeit."
„Wir wollen ausgehen? Wohin?"
„Frag nicht, Solange!"
Dann hörte Coco nichts mehr. Gewiß fand in dem Zimmer eine leidenschaftliche Szene statt. Solange befand sich sicherlich in einem Notstand, was Männer anging, aber Coco glaubte trotzdem nicht, daß sie sich mit einem Wildfremden eingelassen hätte, der plötzlich in ihrem Zimmer auftauchte. Da waren dämonische Kräfte am Werk. Magie machte Solange willenlos und zur willfährigen Beute des Dämons.
Coco überlegte, ob sie Solange helfen konnte. Aber zuerst wollte sie sich überzeugen, ob es stimmte, daß auch die anderen jungen Frauen dämonischen Besuch bekommen hatten.
In jedem Zimmer hörte sie Geräusche, Männerstimmen, Frauenlachen. Coco fand das furchtbar, aber sie wußte jetzt, daß sie nicht eingreifen konnte.
Weitere Kostenlose Bücher