0929 - Krieg der Vampire
anzuwenden, doch das würde schon bald der Fall sein.
Mit jedem Schritt, den er tat, konnte Morano fühlen, wie die alte Geschmeidigkeit zurück in seine Glieder drängte. Er verließ das Herrenhaus durch den Hintereingang. Dort hatte noch vor Kurzem eine freie Fläche existiert, die in alten Zeiten von den früheren Bewohnern dieses Domizils, das sich in den Bergen Korsikas befand, sicher als Nutzfläche angelegt worden war. Landwirtschaft - vielleicht sogar Feigenbäume oder Weinanbau? Morano war das gleichgültig.
Jetzt hatte diese Fläche eine ganz andere Art der Verwendung gefunden, denn auf ihr stand nun die altrömische Villa, die Tan Morano mit der Kraft des Machtkristalls aus den Katakomben Roms direkt hierher versetzt hatte. Eine enorme Anstrengung, der er Tribut gezollt hatte.
Bitteren Tribut!
Nun war er auf dem Weg, um zu überprüfen, wie weit er das Rad der Zeit hatte zurückdrehen können - zumindest, was seine körperliche Verfassung betraf. In der Villa gab es einen Raum, in den Morano sich sofort verliebt hatte. Ganz offensichtlich handelte es sich um das Schlafgemach der ehemaligen Herrin des Hauses. An der Rückwand des Zimmers gab es einen hohen Spiegel, dessen Ränder kunstvoll verziert waren. Hier hatte die Gattin eines römischen Senators einst viele Stunden des Tages verbracht, um sich dann abends perfekt präsentieren zu können. Zumindest war das Moranos Vorstellung.
Vampire hatten kein eigenes Spiegelbild. Viele Geschichten über die Kinder der Nacht waren bei den Menschen im Umlauf, die meisten davon ganz einfach nur Märchen. Doch das fehlende Spiegelbild war eine Tatsache. Eine Tatsache, die Morano jedoch noch nie akzeptiert hatte.
Er war eitel. Für ihn war dies keine zu verurteilende Eigenschaft, im Gegenteil. Er liebte Luxus in jeder Form. Und er liebte die Frauen. Er pflegte sich über alle Maßen, kleidete sich nach der neuesten Mode, war stets elegant und auf der Höhe der Zeit. Er konnte nicht begreifen, wie sich heute die meisten Vampire darstellten. Sie liefen in Lumpen gekleidet herum, legten keinerlei Wert auf ihr Äußeres. Sie hatten sich den Menschen nahezu vollständig angepasst, denn auch die entsprachen nicht dem Level, das Morano für sich gesetzt hatte.
Das alles hatte ihn dazu geführt, seine uralte Vampirmagie bis an ihre Grenzen auszuschöpfen. Das Ergebnis war nicht befriedigend gewesen, doch immerhin besaß Tan Morano ein Spiegelbild, wenn es auch recht verschwommen und nicht präzise war. Als er diesen Spiegel hier in der alten Villa tief unter den Straßen Roms gefunden hatte, war ihm klar geworden, wozu er den Machtkristall als Erstes verwenden würde. Und er hatte Erfolg gehabt - in diesem Spiegel konnte er sich nun so deutlich sehen, wie es bislang das Privileg der Menschen gewesen war.
Ein Privileg, das auch grausam sein konnte, denn als er die Villa nach Korsika versetzt hatte, zeigte ihm der Spiegel anschließend, wie hoch der Preis der Macht für ihn war.
Was er sah, raubte ihm beinahe den Verstand.
Seine dunklen und vollen Haare waren von hellem Grau durchzogen - seine perfekte Stirn lag in Falten - und links und rechts von seinen Nasenflügeln waren deutlich zwei tiefe Furchen zu erkennen.
Morano erinnerte sich nur zu gut an diesen für ihn so einschneidenden Augenblick. Professor Zamorra hatte ihn gewarnt, dass der Dhyarra der 13. Ordnung seinen Tribut einfordern würde.
Er entzog Morano all das, was ihm stets am wichtigsten gewesen war - sein Aussehen. Sein Körper alterte, Haare und Haut waren in nur wenigen Stunden zu denen eines Greises geworden. Und seine Manneskraft hatte den Vampir an diesem Tag zum ersten Mal kläglich im Stich gelassen. All dies drohte ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Sein erster Gedanke war natürlich, den Machtkristall einzusetzen, um diese Entwicklung rückgängig zu machen, doch das wagte er nicht.
Also ging Morano den langen Weg, der über seine ihm gegebenen Vampirfähigkeiten verlief. Es hatte Tage gedauert, doch nun war sein Abbild wieder nahe dem, das er stets so gepflegt hatte. Die Kraft der Regeneration hatte gewirkt…
Morano betrat die Villa und durchquerte mit langsamen Schritten die unzähligen Räume, deren Böden, Wände und Decken perfekte Mosaike aus Millionen winziger Steinsplitter vorzuweisen hatten. Wahre Kunstwerke!
Vor dem hohen Spiegel blieb er schließlich stehen.
Wenn man genau hinsah, konnte man noch die Ansätze der Furchen erkennen, die seine Nasenflügel flankierten.
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