0929 - Krieg der Vampire
verbeißen. Morano schien sich tief in der Zeit verfangen zu haben, in der die prächtige Villa erbaut worden war. Er trug eine schlohweiße Toga, die beinahe bis zum Boden reichte. Nur wenn der Saum beim Laufen nach oben wippte, wurden die Schnürsandalen sichtbar. Seine langen schwarzen Haare trug Morano offen.
Starless bemühte sich, keine seltsamen Vergleiche in seinem Bewusstsein hochkommen zu lassen, doch das wollte ihm nicht gelingen: Als Tan Morano an ihm vorüberschritt, erinnerte er Starless an ein verhärmt aussehendes Zwitterwesen aus Mann und Frau - sorgenschwer und unsicher. Seine Gesichtszüge schienen gealtert. Starless bemerkte die Furchen und alle Alarmglocken schlugen in ihm an.
Konnte es sein, dass der Machtkristall - nein, sicher täuschte er sich.
Morano beachtete weder Starless noch die Raubvampirin. Er schien vollständig in sich selbst gefangen zu sein, unfähig, seine Umgebung auch nur wahrzunehmen. Als er die Treppe zur Villa hinauf stieg, da schien er für Starless gebeugt und unsicher zu gehen. Dann entschwand Morano den Blicken des Vampirs, der Sinje-Lis Blick suchte. Die Vampirin jedoch wandte sich zur Seite. Vielleicht hatte sie die gleichen Eindrücke wie Starless gehabt, doch sie schien das alles für sich behalten zu wollen.
Minuten verrannen, in denen Starless sich fragte, ob Morano tatsächlich die Kontrolle über den Kristall hatte - oder der über ihn? Dann zuckte der Vampir zusammen.
Und mit ihm die ungezählten Schwestern und Brüder des Nachtvolkes - auf der Erde, in den Schwefelklüften… wo sie sich auch immer befanden. Die Stimme, die in ihren Köpfen mit Macht Einzug hielt, ließ keinen Raum für Gedanken, Emotionen, für Gier, Hoffnung oder Verzweiflung; selbst die Gier nach frischem Blut wurde von ihr überlagert und verdrängt.
»Ich rufe euch, Kinder des Blutes, Krönung alles Seins. Ich rufe euch, mein Volk! Ich sende ihn zu euch - den BLUTZWANG. Ich, euer aller Oberhaupt. Ich - Tan Morano! Folgt dem BLUTZWANG.«
Starless war in die Knie gegangen, denn die Stimme dröhnte wie ein Dampfhammer in seinem Körper. Unweit von ihm entfernt, sah er Sinje-Li am Boden liegen. War Morano wahnsinnig geworden? Hatte die Macht jedes Maß der Dinge aus ihm vertrieben? Oder war das nur die Bestätigung dafür, dass er den Dhyarra nicht wirklich zu beherrschen gelernt hatte? Nur langsam ebbten die Schmerzen ab. Kein gelungener Beginn einer Herrschaft!
Erneut erklang die Stimme in Starless' Kopf, doch nun hatte sie ein erträgliches Maß an Intensität. Morano hatte seinem Volk noch etwas zu sagen.
»Als Sarkana seine Herrschaft ausrief, da benutzte er genau diese Worte. Und auch er wollte die uralte Vampirrasse wieder an die Spitze der Schwarzen Familie führen - doch auf anderen Wegen, als die, die ich beschreiten werde. Ab sofort werden alle Clans ihre nur allzu menschlichen Aktivitäten einstellen. Ich dulde keine Bandenkriminalität, an deren Spitze Vampire stehen. Denkt zurück an das, was das Nachtvolk einst gewesen ist. Ich werde die Führer der einzelnen Clans zu mir rufen. Bis dahin wird es kein organisiertes Glückspiel, kein erpresstes Schutzgeld, kein Rotlichtmilieu mehr geben, das von Vampiren geleitet wird - wenn doch, dann werde ich drastisch in meinen Strafen sein! Folgt mir - folgt dem Blutzwang - hin zu alter Größe!«
Die plötzliche Stille in Starless' Kopf war wie eine Befreiung. Er konnte es fühlen - Morano hatte es geschafft, durch die Kraft des Machtkristalls den Blutzwang auszusenden. Es war anders gewesen, als bei Sarkanas Machtergreifung, doch nicht minder bindend und zwingend. Die Nachtkinder mussten ihn akzeptieren - oder ihn bekämpfen. Niemand hatte es damals gewagt sich gegen Sarkana zu stellen.
Doch wie würde das bei Tan Morano aussehen? Sein Wort war Gesetz, doch was scherten sich die mafiös ausgerichteten Clans um Gesetze? Starless sah, wie Sinje-Li wieder auf die Beine kam. Kurz trafen sich die Blicke der beiden. Starless war sicher, dass er in ihren Augen die gleichen Fragen lesen konnte. Starless blickte zur Villa hin. Von Morano war noch immer nichts zu sehen. Wahrscheinlich genoss er die Momente seines Triumphes. Momente später verwarf der Vampir diesen Gedanken wieder, denn in der offenstehenden Tür der Villa erschien Morano.
Er hatte sich ein Cape um die Schultern geworfen, dessen Kapuze seinen ganzen Kopf umschloss. Starless konnte Moranos Augen unter dem Kapuzenrand blitzen sehen. Der neue Herrscher hielt den Kopf
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